I. Bisherige BFH-Rspr
Rn. 1
Stand: EL 125 – ET: 12/2017
Der BFH hat bisher nur Aufwendungen einer verheirateten Frau für eine künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation – IVF) mit dem Samen des Ehemannes zum Abzug als ag Belastung nach § 33 EStG zugelassen (BFH BStBl II 1997, 805), nicht aber mit dem Samen eines Dritten (BFH BStBl II 1999, 761). Aufwendungen einer nicht verheirateten, empfängnisunfähigen Frau für künstliche Befruchtungen wurden dagegen auch dann nicht als ag Belastung berücksichtigt, wenn sie in einer festen Partnerschaft lebt (BFH BStBl II 2006, 495). Für die Entscheidung, ob Aufwendungen für eine IVF als Heilbehandlungsmaßnahme im weiteren Sinn aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen, den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen, seien verfassungsrechtliche Wertentscheidungen sowie in der Gesellschaft vorherrschende Auffassungen zu beachten. Eine Auslegung, die aufgrund der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG bestimmte Aufwendungen – wie die Kosten für künstliche Befruchtungen – nur bei verheirateten Paaren zum Abzug als ag Belastung zulasse, sei verfassungsgemäß. Die unterschiedliche Förderung von Ehe und Familie im Vergleich zu anderen Formen gemeinschaftlichen Zusammenlebens verstoße nicht gegen den insoweit nachrangigen Art 3 Abs 1 GG.
II. Rspr-Änderung
Rn. 2
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Nach neuerer Rspr des BFH werden Aufwendungen für IVF auch dann berücksichtigt, wenn die Frau nicht verheiratet ist und wenn die Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen werden (BFH BStBl 2007, 1968; 2007, 871; BFH/NV 2011, 684; s ausführlich Ritzrow, EStB 2012, 63). Die neue Rspr des BFH begründet die Anerkennung von ag Belastungen auch bei unverheirateten Paaren insb wie folgt: Die Empfängnisunfähigkeit einer Frau sei – unabhängig von ihrem Familienstand – eine Krankheit (BFH BStBl II 2006, 495 unter II.4.a. der Gründe). Maßnahmen zur Behebung der Empfängnisunfähigkeit – zB durch medikamentöse Behandlung oder einen operativen Eingriff – gehörten daher unabhängig vom Familienstand zur Krankenbehandlung der Frau (BVerfG NJW 2007, 1343) und seien steuerlich als angemessene und notwendige Heilbehandlung anzusehen.
Rn. 3
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Die IVF diene nicht der Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit, da sie den körperlichen Defekt nicht beseitige, sondern ihn – mittels Ersetzung des normalen Befruchtungsvorganges durch Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers – gewissermaßen umgehe oder kompensiere. Die Maßnahme könne aber einer Zwangslage entsprechen. Die sich aus ungewollter Kinderlosigkeit ergebende Zwangslage mag – zB wegen gesellschaftlicher Erwartungen – für eine verheiratete Frau stärker sein als für eine unverheiratete Frau. Auch die Zwangslage einer in fester Partnerschaft lebenden unverheirateten Frau sei aber nach der geänderten Rechtsauffassung des BFH ausreichend, um den Abzug der Aufwendungen als ag Belastung zu gewähren. Denn Kinder zu haben und aufzuziehen bedeute – unabhängig vom Familienstand – für viele Menschen eine zentrale Sinngebung ihres Lebens. Ungewollte Kinderlosigkeit werde deshalb häufig als schwere Belastung erlebt; dies sei auch der Grund dafür, dass die IVF auch unter dem Aspekt der Heilbehandlung einer seelischen Erkrankung der Frau nach § 33 EStG erörtert und wegen der Menschenwürde des zu zeugenden Kindes abgelehnt werde (vgl BFH BStBl II 2006, 495 unter II.5. der Urteilsgründe).
Rn. 4
Stand: EL 125 – ET: 12/2017
Die Interessen des zu zeugenden Kindes rechtfertigen es ebenfalls nicht, den Abzug der Aufwendungen zu versagen. Dem Kindeswohl entspreche es zwar am besten, wenn seine Eltern miteinander verheiratet seien, da die besonders intensiven rechtlichen Verpflichtungen zwischen Ehepartnern dem Kind eine größere rechtliche Stabilität und mehr rechtliche Sicherheit geben würden.
Rn. 5
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Dieser rechtliche Vorteil ehelich geborener Kinder wiege aber nicht so schwer, dass er die Zwangslage einer empfängnisunfähigen unverheirateten Frau entfallen ließe. Angesichts der heutigen gesellschaftlichen Akzeptanz nichtehelicher Lebensgemeinschaften und der wirtschaftlichen Selbstständigkeit beruflich erfolgreicher Frauen würden viele Paare ohne Kinder keinen Grund zur Eheschließung sehen und heiraten deshalb erst, wenn sich Nachwuchs ankündige. Erfolgreiche künstliche Befruchtungen könnten daher auch der Anlass für eine Heirat sein. Deshalb seien die Aufwendungen bei nicht verheirateten Paaren in stabiler Partnerschaft auch als ag Belastungen anzuerkennen (BFH BStBl II 2007, 871; BFH/NV 2008, 1309; vgl auch Görke, HFR 2007, 1117).
Rn. 6
Stand: EL 125 – ET: 12/2017
Diese Aussagen gelten auch für eine sog heterologe künstliche Befruchtung, dh der Befruchtung von Eizellen der Ehefrau mit dem Samen eines fremden Mannes (BFH BStBl II 2011, 414). Somit können uE auch bei einer heterologen künstlichen Befruchtung im Rahmen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft oder bei einem nicht verheirateten ...