Rn. 1
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Der § 36a EStG stellt eine erste entschiedene Antwort des Gesetzgebers dar auf eine nachhaltig angewandte Methode, mit der die Besteuerung von Dividenden in der Vergangenheit vermieden wurde (Cum/Cum-Geschäfte) und KapErtr aus Dividenden in Gewinne aus Veräußerungsgeschäften umgewandelt wurden (Kretzschmann/Schwarz, FR 2017, 223 [224]. Dabei haben ausländische Anleger ihre Aktien über den Dividendenstichtag an einen inländische anrechnungsberechtigten StPfl verliehen oder verkauft und unmittelbar nach dem Stichtag wieder zurückgekauft (Tormöhlen in Korn, § 36a EStG Rz 1), wobei darüber schon im Voraus eine entsprechende Vereinbarung geschlossen worden war. Eine beispielhafte Darstellung in der Gesetzesbegründung verdeutlicht die sich daraus ergebende Win-win-Situation für den ausländischen Anteilsinhaber und die inländische Bank; BT-Drucks 18/8045, 133f. Die BReg geht zudem davon aus, dass seit der Einführung der StPfl für Streubesitz-Dividenden im Jahr 2013 auch inländische Körperschaften die gleichen Gestaltungsmodelle einsetzen (BT-Drucks 18/8045, 133 zu Nr 2).
Hätte es sich bei diesen Geschäftsmodellen eindeutig um missbräuchliche Gestaltungen gehandelt, wäre eine weitere gesetzliche Regelung wie die Vorliegende entbehrlich gewesen, weil eine Nicht-Anerkennung der Cum/Cum-Geschäfte bereits über § 42 AO möglich gewesen wäre. Der Gesetzgeber betrachtet allerdings derartige Geschäftsmodelle als unerwünschte Steuergestaltungen, die unter dem Begriff "Dividendenstripping" stets von der FinVerw verfolgt worden seien; BT-Drucks 18/8207, Antwort der BReg zu Frage 29. Man kann diese Problematik für ein schlichtes "Verteilungsphänomen" halten, so Gosch in Kirchhof, § 36a EStG Rz 1, 19. Aufl 2020. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Gesetzgeber auf Abwegen wäre, wenn er Steuersparmodelle vor dem Hintergrund der fiskalischen Auswirkungen einzuschränken versucht. Zwar liegen der BReg nach eigener Aussage dazu keine statistischen Daten vor, s BT-Drucks 18/8207, Antwort zu Frage 20, geschätzt werden aber Steuerausfälle im Milliardenbereich (Spengel, DB 2016, 2988, 2989; Spilker/Kremer, BB 2018, 2775). Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Rau, FR 2017, 1043 [1045] auf den Umstand,
Zitat
"dass in der Vergangenheit bei einigen Unternehmen der Aktienbestand um den Dividendenstichtag das Fünf- bis Zehnfache des durchschnittlichen Bestandes im restlichen Jahr betrug".
Bei einer solchen Größenordnung wird die Frage erlaubt sein, ob man derartigen Steuervermeidungsgestaltungen weiterhin zusehen kann. Der Gesetzgeber hat dies verneint. Dass die rechtliche Bewertung der Cum/Cum-Geschäfte seitens des Gesetzgebers und der Behörden "ergebnisorientiert" ist (so Spilker/Kremer, BB 2018, 2775 [2780]), ist genauso wenig verwunderlich wie die Ergebnisorientierung der Finanzwirtschaft. Allerdings geht es nach diesseitiger Auffassung zu weit, selbst der Rspr eine "Ergebnisorientierung" zu unterstellen, die über die Wahrung des geltenden Rechtes hinaus ginge.
Aus der Gesetzesbegründung wird auch deutlich, dass der deutsche Gesetzgeber in dieser Frage keinesfalls alleinsteht. Als Bsp werden in der Begründung Staaten zitiert, deren Regulierung der Finanzmärkte als eher liberal bezeichnet werden kann (die USA und die Niederlande), BT-Drucks 18/8045, 134.
§ 36a EStG beinhaltet folgende Regelungen:
- Abs 1 definiert für die vollständige Anrechnung der KapSt bei KapErtr nach § 43 Abs 1 S 1 Nr 1a EStG zusätzliche Voraussetzungen, nämlich eine Mindesthaltedauer, während der ununterbrochen wirtschaftliches Eigentum bestehen muss; ferner ist während der Mindesthaltedauer durchgehend das Mindest-Wertänderungsrisiko zu tragen, und außerdem darf der wirtschaftliche Eigentümer nicht verpflichtet sein, die KapErtr überwiegend auch nur mittelbar anderen Personen zu vergüten. Anderenfalls sind drei Fünftel der KapSt nicht anrechenbar.
- Abs 2 regelt die Mindesthaltedauer.
- Abs 3 definiert das Mindestwertänderungsrisiko.
- Abs 4 enthält Anzeige- und Zahlungspflichten für einkommen- und kstpfl Personen, die steuerbefreit sind oder denen ein KapSt-Abzug erstattet wurde, und welche die Voraussetzungen für eine Anrechenbarkeit nach Abs 1–3 nicht erfüllen. Diese Anforderungen sind durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität (BGBl I 2019, 2451) konkretisiert worden.
- Abs 5 regelt Ausnahmen für Beteiligungserträge geringeren Umfangs und langfristigen Investments.
- Abs 6 erstreckt die Ausnahmen auf treuhänderisch organisierte Formen der Altersvorsorge und auf fondsgebundene Lebensversicherungen.
- Abs 7 verweist darauf, dass die Vorschrift des § 42 AO gegen den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch § 36a EStG nicht berührt wird. Damit bleibt eine letzte Auffanglinie für den Fall, dass sich die hier "verfolgte typisierende Missbrauchsvermeidung" (Kretzschmann/Schwarz, FR 2017. 223 [226]) als verfassungsrechtlich fraglich erweisen sollte. In der praktischen Umsetzung der Vorschrift dürfte...