Dr. Carl Ulrich Hildesheim
Rn. 80
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Verfahrensrechtlich sind Vorauszahlungsbescheide eigenständige Steuerfestsetzungsbescheide (§§ 155 Abs 1 S 1, 164 Abs 1 S 2 AO; s Rn 4). Der Vorauszahlungsbescheid kann – wie jeder Steuerbescheid – mit Einspruch und nachfolgend Anfechtungsklage angefochten werden.
Die Anfechtung des Jahressteuerbescheids, auf dem die Bemessung der Vorauszahlungen beruht, ist nicht automatisch auch eine Anfechtung des mit ihm äußerlich verbundenen Vorauszahlungsbescheids; vgl Loschelder in Schmidt, § 37 EStG Rz 40, 40. Aufl. Das Einspruchsschreiben ist deshalb auszulegen. Auch wenn der Erfolg im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Jahressteuerbescheid später auch zur Herabsetzung der Vorauszahlungen führt, kann mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung und der Verhinderung des Anfalls von Säumniszuschlägen ein ausdrücklicher Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid zu empfehlen sein.
Erfolgt innerhalb der Rechtsbehelfsfrist gegen einen Vorauszahlungsbescheid ein Herabsetzungsantrag, so ist auch hier auszulegen; idR wird der Antrag als Einspruch gegen die Festsetzung der Vorauszahlung anzusehen sein (Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 37 EStG Rz 136 (April 2021)).
Ein Schreiben des steuerlichen Beraters mit dem eindeutigen Wortlaut "Antrag auf Anpassung von Vorauszahlungen zur ESt" kann im Wege der Auslegung einer Willenserklärung die Wirkung eines rechtzeitig eingelegten Einspruchs gegen einen ESt-Bescheid entfalten, wenn noch kein Vorauszahlungsbescheid ergangen ist (FG Köln EFG 2002, 1140, bestandskräftig nachfolgend BFH v 08.12.2003, X R 15/02).
Fraglich ist, ob bei der Festsetzung von Vorauszahlungen durch Dauer-VA für erst in ferner Zukunft entstehende Vorauszahlungsschulden einheitlich die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat ab Bescheidbekanntgabe gilt und dem StPfl danach nur die Möglichkeit des Anpassungsantrags bleibt. Erwägenswert ist es, den verfahrensmäßigen Vorteil des FA aus dem Erlass von Dauer-VA dahingehend zu beschränken, dass im Monat Januar eines jeweiligen Jahres wiederum Einspruch gegen die Vorauszahlungen für die Zukunft eingelegt werden kann.
Ergeht während des Einspruchsverfahrens der Jahressteuerbescheid, wird das Rechtsbehelfsverfahren mit diesem ohne erneuten fortgeführt, § 365 Abs 3 AO (BFH BStBl II 2012, 525 zur USt): Ebenso wie die entsprechende Regelung in § 68 FGO für das Klageverfahren (hierzu zB BFH BFH/NV 2004, 1287) gilt § 365 Abs 3 AO auch für Verpflichtungsbegehren. Der Anwendung des § 365 Abs 3 AO steht somit nicht entgegen, dass es sich bei einem Antrag auf Herabsetzung des USt-Vorauszahlungsbescheids um ein Verpflichtungsbegehren handelt, während ein gegen einen USt-Jahresbescheid erhobener Einspruch ein Anfechtungsbegehren enthält. Entscheidend ist, ob der angefochtene ursprüngliche und der neue Bescheid "dieselbe Steuersache" betreffen. Das ist im Verhältnis des USt-Vorauszahlungsbescheids zum USt-Jahresbescheid der Fall (s auch BFH BFH/NV 2010, 1829).
Obschon also ein Vorauszahlungsbescheid durch den Jahressteuerbescheid seine Wirksamkeit verliert (BFH BStBl II 2011, 607; BFH/NV 2015, 306), hat sich ein Rechtsstreit (bzw ein Einspruchsverfahren) gegen den USt-Vorauszahlungsbescheid damit nicht erledigt, sondern ist wegen § 68 FGO zwingend fortzusetzen gegen den Jahressteuerbescheid.
Diese Grundsätze gelten auch für die ESt (BFH BFH/NV 2003, 600; FG RP EFG 2005, 1084 rkr; auch s Rn 4): Der Jahressteuerbescheid "ersetzt" den Vorauszahlungsbescheid iSd § 68 FGO, da die Vorschrift des § 68 FGO nicht etwa die Nämlichkeit des Streitgegenstandes erfordert, sondern lediglich voraussetzt, dass der ursprüngliche VA durch Erlass des neuen VA seine Wirkung verliert und dass sowohl Beteiligter als auch Besteuerungsgegenstand hinsichtlich beider VA identisch sind (BFH BStBl II 2009, 710). Allerdings wird dem Kläger so womöglich eine Wohltat aufgedrängt, die er gar nicht haben will (zur weiteren Kritik s Rn 82).
Nur ausnahmsweise ist durch den Erlass des nachfolgenden Jahressteuerbescheids in Bezug auf den Gegenstand der ursprünglichen Anfechtungsklage gegen den Vorauszahlungsbescheid die Erledigung der Hauptsache eingetreten, wenn zB strittig war, ob die Vorauszahlungen grundsätzlich in gleicher Höhe festgesetzt werden müssen (dann aber ggf Fortsetzung der Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage (BFH BStBl II 2012, 329; BFH/NV 2014, 361).
Rn. 81
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Gegen die Rechtsbehelfsentscheidung über einen Anfechtungseinspruch ist die Anfechtungsklage gegeben. Soweit das FA dabei Ermessensentscheidungen trifft, begrenzt § 102 FGO die Überprüfung auf die Frage, ob eine Ermessensüber- oder -unterschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt.
Ein späterer Vorauszahlungsbescheid für dieselben Fälligkeitstermine ersetzt iSd § 68 FGO den vorangegangenen Vorauszahlungsbescheid.
Auf jeden Fall muss eine Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig sein, wenn in dem Klageverfahren gegen den Vorauszahlungsbescheid um spezifische Fragen des Vorauszah...