Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
a) Materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter
aa) Abgrenzungsrelevanz
Rn. 642
Stand: EL 174 – ET: 08/2024
Abgrenzungsrelevanz Ansatzebene: Auf Ansatzebene hat die Frage, ob ein immaterielles WG vorliegt, insb Relevanz für die Anwendung des Aktivierungsverbots § 5 Abs 2 EStG (s Rn 599); für selbst geschaffene immaterielle WG des AV besteht keine konkrete Aktivierungsfähigkeit. Handelsrechtlich gilt dies nach § 248 Abs 2 S 2 HGB für selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbare immaterielle Vermögengegenstände des AV.
Abgrenzungsrelevanz Bewertungsebene: Die Abgrenzung ist im Weiteren relevant für die Folgebewertung. Die Abgrenzung materieller WG iwS (Finanzwerte) von materiellen WG ieS (körperliche, s Rn 644) und immateriellen WG ist im Hinblick auf die planmäßige Abschreibbarkeit relevant: Finanzwerte sind nach § 6 Abs 1 Nr 2 S 1 EStG mangels planmäßiger Abnutzbarkeit nicht planmäßig abschreibbar, abgeschrieben werden vielmehr bereits die WG, die sie repräsentieren, falls diese ihrerseits abnutzbar sind. Materielle WG ieS sowie immaterielle WG dagegen treten als abnutzbare ebenso wie als nicht abnutzbare WG auf. Weiterhin ist die Abgrenzung zwischen materiellen und immateriellen WG relevant, insoweit Bewertungsvorschriften tatbestandlich ein bewegliches WG fordern, da Beweglichkeit ein materielles WG voraussetzt (so etwa § 7 Abs 2 EStG für die degressive AfA, § 6 Abs 2 EStG für die Sofortabschreibung von GWG, § 7g EStG für den IAB und die Sonderabschreibung, im Einzelnen s Rn 648f).
Sonstige Relevanz: Werden aktivierungsfähige selbst geschaffene immaterielle VG des AV in der Handelsbilanz ausgewiesen (§ 248 Abs 2 S 1 HGB), greift aus Gründen des Gläubigerschutzes eine Ausschüttungssperre (§ 268 Abs 8 HGB) ein. Im Fall der Aktivierung selbst geschaffener immaterieller VG nach § 248 Abs 2 S 1 HGB sind Anhangangaben zu machen für den Gesamtbetrag der Forschungs- und Entwicklungskosten des Geschäftsjahrs sowie den davon auf die selbst geschaffenen immateriellen VG des AV entfallenden Betrag (§ 285 Nr 22 HGB).
ab) Abgrenzungskriterien
Rn. 643
Stand: EL 174 – ET: 08/2024
Ausgehend von der in der Bilanzgliederungssystematik des § 266 Abs 2 A HGB angelegten Dreiteilung des BV ist zu differenzieren zwischen
(1) |
materiellen (körperlichen) WG, |
(2) |
immateriellen (unkörperlichen) WG und |
(3) |
finanziellen WG, sog Finanzwerten wie zB Forderungen, Wertpapiere, Beteiligungen (vgl zB Pfeiffer, StuW 1984, 334; Weber-Grellet, Steuerbilanzrecht, § 8 Rz 12 (1996)). |
Die Finanzwerte nehmen eine Zwitterstellung zwischen materiellen und immateriellen WG ein, da sie zwar unkörperlich sind, bei wortgetreuem Verständnis von materiell = körperlich/immateriell = unkörperlich folglich den immateriellen WG zuzuordnen wären, von den immateriellen Werten iSd § 266 Abs 2 A I HGB aber nicht erfasst werden. Trotz fehlender Körperlichkeit werden Finanzwerte bilanzrechtlich als "WG materieller Art"/materielle WG iwS behandelt, da sich ihr Gegenstand (zumindest überwiegend) auf konkrete materielle Werte richtet (BFH v 04.12.2006, GrS 1/05, BStBl II 2007, 508; vgl auch Weber-Grellet, Steuerbilanzrecht, § 8 Rz 12 (1996); Hennrichs in MüKo Bilanzrecht, § 246 HGB Rz 41 (2013); vgl auch Ley, Der Begriff "WG" und seine Bedeutung für die Aktivierung, 148ff (2. Aufl 1997)), dh sie Nominalrepräsentanten materieller Güter sind (grundlegend Stüdemann, Theorie der Nominalrepräsentanten, 277ff (1976); Stüdemann, DB 1985, 348f). Die akzessorische innere Bindung der Finanzwerte an vornehmlich materielle Repräsentationsgüter rechtfertigt deren Ausgrenzung aus der Gruppe der immateriellen WG, weist gleichwohl Unschärfebereiche insoweit auf, als (bspw durch Anteile an KapGes) auch immaterielle WG repräsentiert werden.
Seine Berechtigung hat die Ausgrenzung der Finanzwerte aus den immateriellen WG gleichwohl darin, dass immaterielle WG ausweislich der Bilanzierungsverbote – § 248 Abs 2 S 2 HGB, § 5 Abs 2 EStG – bzgl Existenz und/oder bzgl ihres Werts als in besonderem Maße unsicherheitsbehaftete Werte eingeordnet werden (vgl BFH v 08.11.1979, IV R 145/77, BStBl II 1980, 146). Diese Unsicherheitsfaktoren bestehen in Bezug auf Finanzwerte grundsätzlich nicht; Existenz und Werthaltigkeit sind idR ohne Unterschied zu materiellen WG ieS feststellbar (vgl Tiedchen in H/H/R, § 5 EStG Rz 586 (12/2021); Adrian in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, Rz 3144 (4. Aufl 2021)).
Die Ausgrenzung der Finanzwerte aus den immateriellen WG ist desgleichen durch die Definition immaterieller Werte in § 1 Abs 3c AStG, die mit AbzStEntModG v 02.06.2021 (BGBl I 2021, 1259) eingefügt wurde (s Rn 646) vereinbar.
Rn. 644
Stand: EL 174 – ET: 08/2024
WG können bilanziell damit insgesamt wie folgt systematisiert werden (WG-Arten):
Wirtschaftsgüter |
körperlich |
unkörperlich |
materiell ieS |
materiell iwS Finanzwerte als Nominalrepräsentanten insb körperlicher Güter |
immateriell |
unbeweglich |
beweglich |
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Beteiligungen |
Wertpapiere |
Forderungen |
|
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nicht abnutzbar |
abnutzbar |
nicht abnutzbar |
abnutzbar |
nicht abnutzbar |
nicht abnutzbar |
abnutzbar |
ac) Materielle Wirtschaftsgüter
Rn. 645
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