Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
a) Richtigkeitsvermutung der Buchführung
Rn. 313
Stand: EL 134 – ET: 02/2019
Eine formell ordnungsmäßige Buchführung hat die Vermutung der materiellen (inhaltlichen) Ordnungsmäßigkeit für sich und ist nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde zu legen, solange und soweit im Einzelfall keine Umstände vorliegen, die diese Vermutung erschüttern (BT-Drucks IV/1982, 146). Die Beweislast für Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit einer formell ordnungsmäßigen Buchführung liegt bei der FinBeh (BFH v 24.06.1997, VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51).
In der gesetzlichen Vermutung inhaltlicher Richtigkeit liegt die Schutzfunktion, die § 158 AO Buchführenden bietet. Die zugunsten des StPfl wirkende widerlegbare Vermutung sachlicher Richtigkeit der Buchführung als Gesamtwerk gewährt formell ordnungsmäßig geführten Büchern einen "Vertrauensvorschuss" (zB FG Ha v 15.02.2008, 2 K 164/06, bestätig durch BFH v 02.12.2008, X B 68/08). Sie ist auch auf freiwillig geführte Bücher und Aufzeichnungen anzuwenden (FG He v 26.03.1997, 1 K 3108/93, EFG 1998, 252; FG Sa v 20.08.2002, 2 K 64/98). Die Richtigkeitsvermutung gilt gleichermaßen für formell ordnungsgemäße Aufzeichnungen im Rahmen einer Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs 3 EStG (BFH v 25.03.2015, X R 19/14, BFH/NV 2016, 4). Die Beweiskraft des § 158 AO erstreckt sich auf die Buchführung als Gesamtwerk, eine Vermutung sachlicher Richtigkeit bzgl der Verbuchung einzelner Geschäftsvorfälle besteht nicht; die FinBeh ist demgemäß auch bei formeller Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht daran gehindert, einzelne unzutreffende Buchungen zu korrigieren (BFH v 15.02.1989, X R 16/86, BStBl II 1989, 462; BFH v 21.04.20015, X B 115/04).
Rn. 314
Stand: EL 134 – ET: 02/2019
Sind die Buchführung und steuerrechtlich erforderlichen Aufzeichnungen formell nicht ordnungsmäßig, kann hieraus nicht ohne Weiteres generell die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses abgeleitet werden; auch das Ergebnis einer formell ordnungswidrigen Buchführung kann sachlich richtig sein (keine umgekehrte Vermutung sachlicher Unrichtigkeit bei formeller Unrichtigkeit, BFH v 17.11.1981, VIII R 174/77, BStBl II 1982, 430; BFH v 25.03.2015, X R 20/13, BStBl II 2015, 743). Formelle Buchführungsmängel berechtigen nur zur Korrektur/Schätzung, soweit Grund für die Annahme besteht, dass das Ergebnis der formell ordnungswidrigen Buchführung auch sachlich unrichtig ist (BFH v 14.12.2011, XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921), wobei ernsthafte – zB aus Abweichungen des Verprobungsergebnisses anhand eines äußeren Betriebsvergleichs (Richtsatzvergleich) abgeleitete – Zweifel an der sachlichen Richtigkeit des Buchführungsergebnisses genügen (BFH v 25.3.2015, X R 20/13, BStBl II 2015, 743).
Das für eine Schätzbefugnis erforderliche Beweismaß ist bei formell nicht ordnungsgemäßer Buchführung reduziert. Eine Beanstandung der sachlicher Richtigkeit lediglich von Teilen der Buchführung führt nicht zur Verwerfung des gesamten Buchführung, sondern gem § 158 AO ("soweit") lediglich des zu beanstandenden Teils (BFH v 13.07.2010, V B 121/09, BFH/NV 2010, 2015; iE auch BFH v 12.07.2017, X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204 Rz 94ff). Bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch Ergebnisschätzung nach § 162 Abs 2 S 2 AO hat die FinBeh auch formell mangelhafte Unterlagen heranzuziehen (FG Mchn v 01.06.2005, 9 K 4739/02).
Rn. 315
Stand: EL 134 – ET: 02/2019
Ist die Buchführung formell ordnungsmäßig, weil sie den Vorschriften der §§ 140–148 AO u den Vorschriften u Grundsätzen, auf die sie Bezug nehmen, entspricht, so müssen die sich ergebenden Ansätze u Werte sowie der Gewinn der Besteuerung grds zugrunde gelegt werden. Bei Verwendung einer Manipulationssoftware fehlt es bereits an einer formell ordnungsmäßigen Buchführung (Pump, DStZ 2013, 302f.). Die zur Beurteilung der formellen Ordnungsmäßigkeit relevanten Vorschriften umfassen ab VZ 2020 auch die formellen Ordnungsvorschriften zur Kassenbuchführung (§ 146a AO iVm der KassSichV v 29.09.2017 (BGBl 2017, 3515); zu gegenwärtigen Voraussetzungen der Ordnungsmäßigkeit der Kassenbuchführung OFD Ka v 31.10.2016; Nöcker, NWB 2017, 492).
Nicht in die Beurteilung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung iSd § 158 AO einzubeziehen ist eine formelle Ordnungsmäßigkeit der gem § 5b EStG elektronisch zu übermittelnden E-Bilanz. Insoweit liegt lediglich eine Folgeverpflichtung zur Buchführungspflicht vor, deren Rechtsgrundlage im Hinblick auf die (zuletzt mit Taxonomie 6.2 v 01.04.2018) formulierten erheblichen Anforderungen an das Differenzierungsniveau zu übermittelnder standardisierter steuerlicher Gewinnermittlungsdaten nach wie vor umstritten ist (zB Herzig/Briesemeister/Schäperclaus, DB 2011, 6f). Genügt die Buchführung den Vorgaben der §§ 140–149 AO, greift die Beweiskraftvermutung sachlicher Richtigkeit auch, wenn keine bzw eine hinter den Mindestanforderungen der Taxonomie zurückbleibende E-Bilanz übermittelt wird.
Da auch eine formell ordnungsmäßige Buchführung sachlich unrichtig sein kann, gilt die Beweiskraftvermutung nur, insowei...