Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 76
Stand: EL 139 – ET: 10/2019
Die Zurechnung von Verbindlichkeiten wird – im Gegensatz zur Zurechnung von WG – kaum diskutiert. § 246 Abs 1 S 3 HGB, der über § 5 Abs 1 EStG auch für das Steuerrecht gilt, ordnet an, dass Schulden in der Bilanz des Schuldners, dh bei dem auszuweisen sind, der im Außenverhältnis rechtlich verpflichtet ist, wenn eine wirtschaftliche Belastung/wahrscheinliche Inanspruchnahme gegeben ist. Schulden sind damit – vorbehaltlich wirtschaftlicher Belastung – demjenigen zuzurechnen, in dessen Namen sie begründet wurden. Dies gilt grds auch dann, wenn eine Schuld für fremde Rechnung eingegangen wurde (Schmidt/Ries in Beck'scher Bilanz-Kommentar, § 246 HGB Rz 51 (11. Aufl)). Fallen Außen- u Innenverpflichtung vollständig auseinander, kommt eine Saldierung von Verbindlichkeit und (aktivierungspflichtigem) Freistellungsanspruch nicht in Betracht (vgl auch IDW RS HFA 34, Rz 30).
Unbeschadet der Passivierung bei dem im Außenverhältnis rechtlich Verpflichteten hat der im Innenverhältnis in Gestalt der parallelen Freistellungsverpflichtung rechtlich u wirtschaftlich Verpflichtete die Verpflichtung auch in seiner Bilanz zu zeigen (Freistellungsverpflichtung als abgeleitete Schuld, vgl A/D/S, § 246 HGB Rz 415f (6. Aufl); Schmidt/Ries, aaO). Bzgl Freistellungsverpflichtung/-anspruch besteht ein eigenständiges Schuldverhältnis (BMF v 24.06.2011, BStBl I 2011, 627 Rz 6; vgl auch BFH v 16.12.2009, I R 102/08, BStBl II 2011, 566). Ein Bruttoausweis von originärer Schuld und abgeleiteter Freistellungsverpflichtung führt faktisch zu einer bilanziellen Verdopplung der Schuld. Mit der Aktivierung des im Innenverhältnis bestehenden Rückgriffsanspruchs wird der Verpflichtungsausweis gleichwohl bei dem im Außenverhältnis Verpflichteten im (Netto-)Ergebnis korrigiert (ergebnisneutrale Bilanzverlängerung).
Wirtschaftliche Belastung: Ob eine Verpflichtung den Schuldner wirtschaftlich belastet, hängt von der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme durch den Gläubiger ab (BFH v 22.11.1988, VIII R 62/85, BStBl II 1989, 359). Von einer wirtschaftlichen Belastung ist bei rechtlichem Bestand einer dem Grunde u der Höhe nach gewissen Verpflichtung regelmäßig auszugehen (BFH v 23.09.1969, I R 22/66, BStBl II 1970, 104; BFH v 14.03.1986, III R 179/82, BStBl II 1986, 669; BFH v 25.04.2006, VIII R 40/04, BStBl II 2006, 749; Wassermeyer, WPg 2002, 12; Christiansen, DStR 08, 737; Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz 755 (März 2018). Der Gläubiger wird idR von seinen Rechten Gebrauch machen und den Schuldner in Anspruch nehmen. Diese Regelverständnis kommt auch in § 246 Abs 1 S 3 HGB zum Ausdruck. Der Ausweis einer rechtlich bestehenden gewissen Verpflichtung scheidet ausnahmsweise aus, wenn mit einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nicht/nicht mehr zu rechnen ist, dh die Verpflichtung (noch) nicht zu einer wirtschaftlichen Last geworden ist (Ansatzverbot) oder keine wirtschaftliche Last mehr darstellt (Auflösungsgebot; BFH v 22.11.1988, VIII R 62/85, BStBl II 1989, 359). In diesen Fällen ist die rechtliche Verpflichtung ohne wirtschaftliche Bedeutung und für eine Passivierung der Verpflichtung nicht hinreichend.
Die Zurechnungsfrage wird evident insb
bei Schuldnermehrheiten, dh wenn eine Leistung von mehreren geschuldet wird, wie in den Fällen
bei (vollständiger/partieller) Schuldbefreiung (s Rn 1470ff), dh Eintritt eines Dritten für den Primärschuldner im Wege der
- der Schuldübernahme (§§ 414ff BGB),
- der Erfüllungsübernahme (§ 329 BGB),
- des (gesetzlich nicht geregelten) Schuldbeitritts,
- bei Bürgschaften (s Rn 1200),
- in Treuhandfällen.
Bei vollständigem Auseinanderfallen von Außen- und Innenverpflichtung scheidet eine Nettobetrachtung von Verpflichtung und Rückgriffsforderung nach Maßgabe der Zurechnungsanordnung des § 246 Abs 1 S 3 HGB sowie des Saldierungsverbots § 246 Abs 2 S 1 HGB aus (Bruttoausweis), der im Außenverhältnis Verpflichtete wird in jedem Fall in voller Höhe in Anspruch genommen. Für die Bilanzierung von Treuhandverbindlichkeiten beim Treuhänder ist der Bruttoausweis entsprechend (weitestgehend) unstreitig (Ross, Rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnisse im Jahres- und Konzernabschluß, 1994, 174 mwN; A/D/S, § 246 HGB Rz 414 (6. Aufl 1998); Winnefeld, Bilanz-Handbuch, D Rz 1480 mwN, 5. Aufl 2015). Bei zumindest teilweiser Parallelität von Außen- und Innenverpflichtung (Bsp Gesamtschuldverhältnisse) führt die voraussichtlich nur anteilige Inanspruchnahme bei zugleich in Innenverhältnis nur anteiliger wirtschaftlicher Belastung zu einem nur anteiligen Ausweis der Schuld in der Bilanz des einzelnen Schuldners.