Rückstellung bei einem Kundenkartenprogramm

Verpflichtet sich ein Handelsunternehmen gegenüber den an seinem Kundenkartenprogramm teilnehmenden Kunden, diesen im Rahmen eines Warenkaufs Bonuspunkte bzw. Gutscheine zu gewähren, die der Karteninhaber bei einem weiteren Warenkauf als Zahlungsmittel einsetzen kann, ist für die am Bilanzstichtag noch nicht eingelösten Bonuspunkte bzw. Gutscheine eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, wenn wahrscheinlich ist, dass die Verbindlichkeit entsteht und das Unternehmen in Anspruch genommen werden wird.

Hintergrund: Ausgabe von Kundenkarten

Streitig war die Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung aus einem Kundenkartenprogramm.

Die A-KG, die ein Handelsunternehmen betreibt, wies in der Bilanz zum 31.12.2010 eine Rückstellung für Bonuspunkte und Gutscheine aus, die sie den Inhabern einer A-Card gewährt hatte.

Die Karte wurde von der KG (und deren Tochter-/Partnerunternehmen) gemeinsam ausgegeben. Die Inhaber der Karte erhielten beim Einkauf Bonuspunkte auf den jeweiligen Wert ihres Einkaufs. Die Bonuspunkte wurden auf das Bonuspunktekonto des Karteninhabers übertragen. Die gutgeschriebenen Punkte konnten im A-Onlineshop oder (nach Ausstellung eines Gutscheins) im Store eingelöst werden. Eine Barauszahlung war ausgeschlossen. 

Relevanter Zeitraum für die Ermittlung des Bonuspunktestands zum monatlichen Abrechnungszeitraum waren jeweils die davorliegenden letzten zwölf Monate. Die Gutscheine waren 12 Monate gültig. Tatsächlich verfielen sie erst nach 36 Monaten.

Das FA war der Auffassung, die Einlösungsverpflichtung aus dem Bonussystem begründe zum Bilanzstichtag weder eine zu passivierende noch eine als Rückstellung zu berücksichtigende (ungewisse) Verbindlichkeit. 

Das FG gab der gegen den entsprechend geänderten Gewinnfeststellungsbescheid im Streitpunkt statt.

Entscheidung: Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

Der BFH wies die Revision des FA zurück. Die KG musste für ihre Verpflichtungen aus der Gewährung von am Bilanzstichtag nicht eingelösten Bonuspunkten bzw. Gutscheinen eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bilden. Dem steht das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG nicht entgegen.

Grundsatzentscheidungen des BFH

  • Der BFH hat eine zu passivierende Verbindlichkeit bejaht, wenn ein Unternehmen sog. "Gutmünzen" ausgibt und sich verpflichtet, diese unter Anrechnung auf den Kaufpreis zurückzunehmen oder bar auszuzahlen. Denn aufgrund der Verpflichtung zur Barauszahlung sei  eine unbedingte und in ihrer Höhe feststehende Verbindlichkeit entstanden (BFH v. 22.11.1988, VIII R 6/85, BStBL II 1989 S. 359, "Gutmünzen-Urteil").
  • Bei Kundengutscheinen, die einen Anspruch auf eine Preisermäßigung für Friseurleistungen gewährten, hat der BFH dagegen eine Verbindlichkeit nicht anerkannt, da die Belastung des ausgebenden Unternehmens davon abhing, ob die Inhaber der Gutscheine eine Dienstleistung zu dem ermäßigten Entgelt in Anspruch nehmen. Das Entstehen der entsprechenden Verbindlichkeit sei daher dem Grunde nach ungewiss. Die Verpflichtung sei im bilanzrechtlichen Sinn noch nicht entstanden (BFH v. 19.9.2012, IV R 45/09, BStBl II 2013, S. 123 - "Friseurgutschein-Fall").

Keine Passivierung einer Verbindlichkeit…

Die KG war zwar verpflichtet, die Bonuspunkte bzw. Gutscheine bei einem weiteren Warenkauf auf den Kaufpreis anzurechnen. Die tatsächliche Einlösung durch Anrechnung war allerdings stets vom Erwerb weiterer Waren durch den Karteninhaber und dessen Einlösungsverlangen abhängig. Soweit es hieran am Bilanzstichtag fehlte, bestand daher noch keine Verpflichtung der KG, die von den Kunden hätte erzwungen werden können. Die Verpflichtung der A-KG war zum Bilanzstichtag dem Grunde nach ungewiss und damit rechtlich noch nicht entstanden. Eine Verbindlichkeit konnte daher noch nicht bilanziert werden.

... jedoch Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

Die A-KG hatte allerdings eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, da die Anrechnungsverpflichtung ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag hat. Der Bonus führt zu einer Ermäßigung des ersten Warenkaufs. Denn bereits mit der Bonusgewährung beim ersten Warenkauf ergibt sich für die KG eine wirtschaftliche Belastung, da sie jedenfalls faktisch zum Abschluss eines weiteren Kaufvertrags mit dem Karteninhaber und rechtlich zur Einlösung der Bonuspunkte und Gutscheine verpflichtet ist. Anders als im "Friseurgutschein-Fall" rabattiert die KG deshalb keine künftige Leistung, sondern gewährt einen Nachlass auf bereits getätigte Einkäufe des Kundenkarteninhabers. Der Fall ist insoweit mit dem "Rabattmarken-Urteil" (BFH v. 4.12.1959, III R 317/59, BStBl III 1960, S. 80) vergleichbar.

Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

Die Entstehung der Verpflichtung zur Anrechnung der ausgegebenen Bonuspunkte und Gutscheine war für die KG auch hinreichend wahrscheinlich. Denn sie war (bei einem weiteren Warenkauf durch den Kunden) zu deren Einlösung verpflichtet und es war wahrscheinlich, dass die Kunden im Rahmen des weiteren Warenkaufs tatsächlich eine Verrechnung ihres Guthabens verlangen würden. Nach den Erfahrungswerten für die Vorjahre zum Verfall von Bonuspunkten und Gutscheinen ergab sich im stationären Handel eine Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von 60 % und im Onlineshop sogar von über 80 %.

Kein Passivierungsverbot nach § 5 Abs. 2a EStG

§ 5 Abs. 2a EStG knüpft daran an, dass der Schuldner zur Erfüllung nicht sein aktuelles, sondern nur sein künftiges Vermögen einsetzen muss. Nicht die Verpflichtung selbst, wohl aber deren Erfüllung muss vereinbarungsgemäß vom Anfall künftiger Einnahmen oder Gewinne abhängig sein. Das liegt hier nicht vor. Denn bereits die mit der Anrechnungsverpflichtung verbundene Gewährung der Bonuspunkte bzw. Gutscheine hat zu einer Belastung des zum Bilanzstichtag vorhandenen Vermögens der KG geführt.

Hinweis: Keine unzulässige Klageänderung

Die KG hatte ihr Klagebegehren in der Klageschrift und der Klagebegründung zunächst betragsmäßig niedriger beziffert und im später tatsächlich gestellten Klageantrag erweitert. Diese betragsmäßige Erweiterung des Klageantrags war zulässig. Sie stellt keine nach § 67 FGO zu beurteilende Klageänderung, sondern eine statthafte Klageerweiterung gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO dar. Anders ist es nur dann, wenn der Kläger (was hier nicht vorliegt) eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er von einem weitergehenden Klagebegehren absieht (BFH v. 23.10.1989, GrS 2/87, BStBl II 1990, S. 327).

BFH Urteil vom 29.09.2022 - IV R 20/19 (veröffentlicht am 08.12.2022)

Alle am 08.12.2022 veröffentlichten BFH-Entscheidungen


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