Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 399
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Der Grundsatz der Bilanzidentität verlangt den lückenlosen Vortrag der Schlussbilanzwerte in die Eröffnungsbilanz des Folgejahres (§ 252 Abs 1 Nr 1 HGB); in der logischen Sekunde zwischen dem Ende des vorangegangenen und dem Beginn des neuen Geschäftsjahres sind Änderungen der "Wertansätze" ausgeschlossen (vgl zB Baetge/Ziesemer/Schmidt in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 252 Rz 21 (Oktober 2011)). Dies schließt neben der Bewertung auch den Ansatz ein und korrespondiert mit der Anordnung des § 4 Abs 1 S 1 EStG, für die Gewinnermittlung das BV am Schluss des Wj mit dem am Schluss des vorangegangenen Wj abzugleichen (Bilanzenzusammenhang). Die Zweischneidigkeit der Bilanz bewirkt systematisch notwendig eine Korrektur von überhöhten oder zu geringen Ansätzen in einer Bilanz in späteren JA.
Rn. 400
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Stetigkeitsgrundsatz: § 252 Abs 1 Nr 6 HGB verlangt, dass die auf den vorhergehenden JA angewandten Bewertungsmethoden beizubehalten sind (Bewertungsstetigkeit; zwingende Regelung, vor BilMoG noch Sollvorschrift). § 246 Abs 3 HGB fordert Entsprechendes für den Ansatz (Ansatzstetigkeit, explizit seit dem BilMoG, Geltung als nicht kodifizierter GoB bereits zuvor (vgl Thiele/Turowski in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 246 HGB Rz 280.51 (Oktober 2014); Krumm in Brandis/Heuermann, § 5 EStG Rz 258 (Dezember 2021); aA BGH v 29.03.1999, II ZR 263/94, BGHZ 1997, 263).
Der Anwendungsbereich der Ansatzstetigkeit wird weit ausgelegt, er umfasst
- die Ausübung expliziter gesetzlicher Ansatzwahlrechte (Bsp Ansatzwahlrecht bzgl Disagio (§ 250 Abs 3 S 1 HGB),
- die Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des AV (§ 248 Abs 2 HGB),
- den Ansatz eines Aktivüberhangs latenter Steuern (§ 274 Abs 1 S 2 HGB) ebenso wie
- die Ausübung von Ermessensspielräumen im Rahmen der Entscheidung über den Ansatz von Vermögensgegenständen, Schulden, RAP (Bsp Abgrenzung Entwicklung von Forschung, vgl IDW RS HFA 38, FN-IDW 8/2011, 560 Rz 7).
Die Ansatzstetigkeit bezieht sich lediglich auf vergleichbare Sachverhalte, so dass zB das Aktivierungswahlrecht bei den selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenständen für art- und funktionsverschiedene Vermögensgegenstands-Gruppen (zB selbsterstellte Software und selbstentwickelte Patente) unterschiedlich ausgeübt werden kann, innerhalb einer Gruppe aber einheitlich auszuüben ist (Justenhoven/Meyer in BeBiKo, § 246 HGB Rz 172 (13. Aufl 2022)).
§ 252 Abs 2 HGB lässt allerdings bedeutende Ausnahmen zu. Als sachlich gerechtfertigt weist IDW RS HFR 38 v 10.06.2011, FN-IDW 8/2011, 560, Rz 15 Abweichungen vom Stetigkeitsgrundsatz aus, die
- zu einer Verbesserung des Einblicks in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zB bei präziserer Kostenschlüsselung nach verbesserter Kostenrechnung führen,
- durch eine Änderung der rechtlichen Gegebenheiten (insbesondere Änderung von Gesetz, Satzung, Änderung der Rspr) veranlasst wurden,
- dazu dienen, Ansatz- oder Bewertungsvereinfachungsverfahren in Anspruch zu nehmen,
- zur Anpassung an konzerneinheitliche Bilanzierungsrichtlinien erfolgen oder
- erforderlich sind, um steuerliche Ziele zu verfolgen.
Ansatz- und Bewertungsstetigkeit kann selbstredend keine Fehlerstetigkeit bedeuten. Der Stetigkeitsgrundsatz hindert nicht die Berichtigung materiell rechtswidriger Bilanzen und kann insbesondere die Fortführung eines Bilanzierungsfehlers nicht rechtfertigen (zur Steuerbilanz BFH v 16.01.2020, VI R 49/17, BFH/NV 2020, 9267).
Dem Stetigkeitsgrundsatz wird mit den Zielen, Vergleichbarkeit aufeinanderfolgender Abschlüsse zu verbessern und ein zutreffendes Bild auch bei mehrperiodischer Betrachtung zu gewährleisten und Willkürfreiheit der Ermittlung eines entziehbaren Gewinns durch Unterbindung willkürlicher Gewinn-/Verlustverlagerungen durch einen Wechsel von Ansatz- oder Bewertungsmethoden zu gewährleisten, ein dualer Zweck zugewiesen (dazu Bense, DStR 2020, 1661f mwN).
Bedeutung im Steuerrecht: Der Stetigkeitsgrundsatz hat entsprechend der Bindung der steuerlichen Gewinnermittlung an die GoB durch § 5 Abs 1 EStG grundsätzlich auch steuerlich Relevanz. Von der Beachtung der GoB und damit auch vom Stetigkeitsgrundsatz entbunden wird der StPfl allerdings durch den steuerrechtlichen Wahlrechtsvorbehalt (s Rn 328ff) für die Ausübung aller hiervon erfassten Wahlrechte, dh an den letztlich entscheidenden Stellen (vgl Herzig/Briesemeister, DB 2010, 918 f; Scheffler/Binder, StuB 2012, 892f; Zwirner/Künkele, Ubg 2013, 307 ff; Zwirner/Künkele, DStR 2013, 2077; Barke, DStZ 2015, 311; Bense, DStR 2020, 1664; aA Weber-Grellet, DB 2009, 2403).
Verstetigend wirkt aber auch insoweit das aus dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art 3 Abs 1 GG) abzuleitende steuerliche Willkürverbot (stellvertretend Kammers, Der Grundsatz der Bewertungsstetigkeit, 150 (1988)). Wenngleich dessen Grenzen nicht abschließend ausgelotet sind, kommt dieses explizit in Einzelvorschriften auch zu steuerlichen Wahlrechten zum Ausdruck: bzgl...