Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 402
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Nach dem Stichtagsprinzip sind für die Bilanzierung die Verhältnisse zum Bilanzstichtag entscheidend (§ 252 Abs 1 Nr 3 HGB). Dies gilt für den Ansatz ebenso wie für die Bewertung (BFH v 17.11.1987, VIII R 348/82, BStBl II 1988, 430; BFH v 26.04.1989, I R 147/84, BStBl II 1991, 213; BFH v 27.11.1997, IV R 95/96, BStBl II 1998, 375). Das Stichtagsprinzip gilt nach Maßgabe des § 5 Abs 1 EStG auch für die steuerliche Gewinnermittlung (zB BFH v 28.03.2000, VIII R 77/96, BStBl II 2002, 227; FG Mchn v 14.03.2016, 7 K 1822/14). Das Stichtagsprinzip ist auch steuerlich von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da der Ansatz und insbesondere die Bewertung ungewisser Verpflichtungen sowie leistungsgestörter Forderungen entscheidend vom Kenntnisstand des Bilanzierenden abhängen und dieser mit fortschreitender Zeit präziser wird.
Nach dem Abschlussstichtag eingetretene Umstände sind für die Beurteilung der Verhältnisse zum Abschlussstichtag grds unbeachtlich, da sie Rückschlüsse auf die Verhältnisse zum Stichtag nicht zulassen (BFH v 28.03.2000, VIII R 77/96, BStBl II 2002, 227). Sie sind allenfalls wertbegründend (bzw wertändernd) bzgl der Verhältnisse zum Folgestichtag. Bis zum Abschlussstichtag entstandene Risiken und Verluste sind hingegen wertaufhellend bzgl der Verhältnisse zum Bilanzstichtag auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erst zwischen Abschlussstichtag und dem Tag der Bilanzaufstellung bekannt/erkennbar geworden sind (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB; BFH v 30.01.2002, I R 68/00, BStBl II 2002, 688; BFH v 20.08.2003, I R 49/02, BStBl II 2003, 941; BFH v 15.09.2004, I R 5/04, BStBl II 2009, 100; BFH v 19.10.2005, XI R 64/04, BStBl II 2006, 371; BFH v 21.09.2011, I R 89/10, BStBl II 2014, 612). Die Frage der Erkennbarkeit von Risiken und Verlusten ist an der Sicht eines sorgfältigen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung auszurichten (BFH v 28.03.2000, VIII R 77/96, BStBl II 2002, 227 mwN).
Der Wertaufhellungszeitraum wird nach Wertung des BFH durch die gesetzlichen Fristen für die Aufstellung des Abschlusses begrenzt und endet an dem Tag, an dem der Bilanzierende spätestens eine Bilanz im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§ 243 Abs 3 HGB) hätte erstellen müssen (BFH v 08.03.1989, X R 9/86, BStBl II 1989, 714; BFH v 03.97.1991, X R 163–164/87, BStBl II 1991, 802; BFH v 22.08.2012, X R 23/10, BStBl II 2013, 76; BFH v 12.12.2012, I B 27/12, BFH/NV 2013, 545; BFH v 30.03.2017, IV R 3/15, BFH/NV 2017, 1019; FG D'dorf v 09.10.2018, 13 K 1792/17 G, EFG 2019, 437, Rev BFH X R 3/19). Letzter planmäßiger Bilanzerstellungszeitpunkt ist demnach zugleich letzter Wertaufhellungszeitpunkt, wobei die Rspr bis dato von einem handels- und steuerrechtlich identischen Wertaufhellungszeitraum ausgeht. Die Bedeutung des Endzeitpunkts des Wertaufhellungszeitraums ist nicht zu unterschätzen, da Ansatz und Bewertung zentraler Bilanzpositionen (Rückstellungsansatz/-bewertung; Wertberichtigung von Forderungen) ggf entscheidend hiervon abhängen. Eine steuerliche Ausdehnung des Wertaufhellungszeitraums birgt die Gefahr, dass Entwicklungen und Erkenntnisse weit nach dem spätestmöglichen Bilanzerstellungszeitpunkt im Rahmen späterer Außenprüfungen in die Beurteilung einbezogen und an die Stelle der Kenntnisse zum Bilanzerstellungszeitraum gesetzt werden (Schiffers in Korn, § 5 EStG Rz 139 (August 2020)).
Die Bindung an den handelsrechtlichen Wertaufhellungszeitraum geht allerdings ins Leere, insoweit steuerlich im Ergebnis keine Bindung an handelsbilanzielle Ansätze und Werte besteht (vgl Krumm in Brandis/Heuermann, § 5 EStG Rz 279 (Dezember 2021)). Das Ende des steuerlichen Wertaufhellungszeitraums wird hier über die handelsrechtlichen Erstellungsfristen hinaus durch die Frist für die Erstellung/Übermittlung der Steuerbilanz bestimmt (vgl auch Schiffers in Korn, § 5 EStG Rz 141 (August 2020); aA Weber-Grellet, FS Reiß, 483, 492 (2008); Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz 81 (41. Aufl 2022): Wertaufhellung bis zum Zeitpunkt der Veranlagung; vgl auch Herrfurth, StuB 2014, 123, 126). § 5b EStG verpflichtet Bilanzierende, Inhalte der (Handels-)Bilanz unter Anpassung an steuerliche Vorschriften sowie Inhalte der GuV elektronisch an die FinBeh zu übermitteln. Für die Anpassungen sind (notwendig) Erkenntnisse bis zum vorgesehenen Anpassungszeitpunkt zu berücksichtigen. Eine eigene Fristenregelung für die Datenübermittlung nach § 5b EStG besteht nicht. Nach § 150 Abs 4 AO sowie § 60 Abs 1 EStDV sind diese – zur Verifizierbarkeit der Steuerdeklaration – (erst) der Steuererklärung beizufügen. Es greifen damit grundsätzlich die allgemeinen Fristen für die Abgabe von Steuererklärungen nach § 149 AO (vgl Briesemeister/Schäperclaus in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, Rz 1330 (4. Aufl 2021); Schindler in Kirchhof/Seer, § 5b EStG, Rz 7 (21. Aufl 2022); Bongaerts in Deloitte, E-Bilanz, Rz 32 (8. Aufl 2020); aA Müller in H/H/R, § 5b EStG Rz 16: § 149 Abs 2 S 1 AO für die E-Bilanz nicht anwendbar).
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