Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
ca) Wertaufhellung u Wertbegründung
Rn. 487
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Zur Erläuterung folgende Sachverhaltsalternativen:
Beispiele:
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Der bis zum Bilanzstichtag zunehmend schleppend zahlende Kunde mit sich aufbauendem Forderungsbestand geht kurz nach dem Bilanzstichtag in die Insolvenz. |
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Derselbe Kunde gewinnt kurz nach dem Bilanzstichtag im Lotto und zahlt prompt die gesamten überfälligen Forderungsbeträge (entnommen der Begründung des BFH BStBl II 1973, 485). |
Diese beiden Sachverhaltsalternativen exemplifizieren die traditionelle BFH-Rspr und die sich daran orientierende Rechtslehre zur logischen Vereinbarung des Stichtags- mit dem Erstellungstermin, die begrifflich unter dem Stichwort "Wertaufhellung" subsumiert wird:
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Im ersten Fall ist die Insolvenz ein wertaufhellendes Ereignis, sie bestätigt nur die schon am Bilanzstichtag nicht mehr vorhandene Werthaltigkeit der Forderung. |
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Im zweiten Fall – bei gleicher Bonität des Schuldners – ist der Lottogewinn dagegen ein wertbegründendes Ereignis, also ein solches, das am Bilanzstichtag noch nicht vorlag und deshalb, will man dem gesetzlichen Gebot ("bis zum Abschlussstichtag") nicht ausweichen, nicht berücksichtigt werden darf. Hier spricht man von einem wertbegründenden Ereignis, das eben erst "in neuer Rechnung" eingetreten ist und deshalb in der stichtagsbezogenen Betrachtungsweise nicht mehr berücksichtigt werden kann, obwohl die wieder aufgelebte Werthaltigkeit bei Bilanzerstellung bekannt war. |
Rn. 488
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Mit diesen beiden Bsp kann eine logisch einwandfreie Zusammenführung der beiden vom Gesetz genannten Stichtage und deren sachlichen Inhalte gelingen. Die Realität des Wirtschaftslebens wird damit allerdings in den meisten Fällen nicht eingefangen. Selten geht ein säumiger Kunde noch "rechtzeitig" vor der Bilanzerstellung in die Insolvenz; erst recht gewinnt er nicht in der Lotterie. Vielmehr stellt sich die Bilanzierungsentscheidung des Kaufmanns in der wirklichen Welt etwa wie folgt dar:
Beispiel:
Sachverhalt wie im Bsp zuvor (s Rn 487) – schleppende Zahlungsweise etc. Der Forderungsbestand am Bilanzstichtag beträgt dabei 1 000. Der Kaufmann rechnet am Bilanzstichtag mit einem Geldeingang von 700. Vor Bilanzerstellung gehen 300 ein.
cb) Subjektive u objektive Wertaufhellungskonzeption
Rn. 489
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Die Rspr und das Schrifttum begegnen dieser Bilanzierungsvorgabe – zunächst unstrukturiert dargestellt – mit Begriffen wie "subjektiver Kenntnisstand, subjektiv Gewusstes, objektiv Wissbares" uÄ. In systematisierter Form wird dabei zwischen zwei Wertaufhellungskonzeptionen unterschieden (BFH BStBl II 2002, 227 u Hommel/Berndt, DStR 2000, 1745). Einzelheiten hierzu unter s Rn 531. Gängig wird über Wertaufhellung gesprochen. Gemeint ist damit immer auch der Ansatz, der auch durch Ereignisse zwischen Stichtag und Erstellung erhellt werden kann.
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Subjektive Aufhellungskonzeption: Die Bilanz ist so zu erstellen, wie sie ein – fiktiver vorsichtiger und ordentlicher – Kaufmann unter verständiger Würdigung aller Umstände und Verhältnisse am Bilanzstichtag aufgestellt hätte. Die Bilanzierung hat also so zu erfolgen, als ob sie bereits am Bilanzstichtag erstellt worden wäre (so die Vorgabe des RFH v 31.10.1919, RFHE I 1919, 272). |
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Objektive Aufhellungskonzeption: Die Bilanzierung hat so zu erfolgen, wie sich die Verhältnisse am Bilanzstichtag nach dem Kenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzerstellung darstellen. Maßgeblich sind also die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse nach Maßgabe des genannten Kenntnisstandes. So auch das Reichsgericht im Jahr 1912 (zitiert von Hüttemann in FS Priester 2007, 309): "Das Gesetz mutet dem Bilanzierenden nicht zu, sich künstlich unter Außerachtlassung der vorhandenen Nachrichten in einen früheren Erkenntnisstand zurückzuversetzen." |
Rn. 490
Stand: EL 111 – ET: 08/2015
Diese Vorgabe entspricht der menschlichen Psyche: Man kann von niemandem verlangen, sich künstlich dumm zu stellen. Deshalb wird die subjektive Wertaufhellungskonzeption in Reinkultur auch nicht vertreten: Es kommt zwar auf die am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnisse an – ansonsten wäre das Stichtagsprinzip obsolet geworden –, aber der Kenntnisstand des Kaufmanns über diese Verhältnisse bei Bilanzerstellung ist zu berücksichtigen, und zwar auch unter Einbeziehung dessen, was der Kaufmann bei ordentlichem Verhalten wissen musste. Dann aber ist der Unterschied zur objektiven Aufhellungskonzeption nur mehr theoretischer Art: Sie verlangt bei Bilanzerstellung die Berücksichtigung aller am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnisse ohne Rücksicht auf den wirklichen oder den fiktiven "ordentlichen" Kenntnisstand.
Beispiel:
Der Kaufmann K stellt Molkereiprodukte her. Er erstellt die Bilanz am 10.02.01. Am 20.02.01 stellt sich die verunreinigte Produktion eines im Dezember produzierten Loses heraus.
Alternative:
Der Kaufmann K erstellt die Bilanz am 20.02.01. Am 10.02.01 stellt sich die verunreinigte Produktion eines im Dezember produzierten Loses heraus.
In der erstgenannten Sachverhaltsko...