Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 2244
Stand: EL 168 – ET: 10/2023
Der StPfl kann eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nur erfolgreich anfechten, wenn er substantiiert darlegt, dass der Schätzungsbescheid rechtswidrig ist, weil die Voraussetzungen des § 162 AO nicht gegeben sind. Insbesondere ist dies der Fall, wenn
- Umstände nicht berücksichtigt worden sind, die hätten berücksichtigt werden müssen, oder
- aus den vorliegenden Umständen falsche Schlüsse gezogen worden sind.
Die schlichte Behauptung, die Schätzung sei aufgrund der Höhe fehlerhaft, reicht nicht aus (BFH BStBl III 1961, 321; dies gilt auch für ein Verfahren bzgl Aussetzung der Vollziehung, FG Ha vom 07.04.2011, 6 V 22/11).
Will der StPfl eine abweichende Schätzung herbeiführen, ist er gehalten, erweisbare Tatsachen oder Erfahrungssätze vorzutragen, die geeignet sind, einen anderen als den von der FinBeh geschätzten Betrag als wahrscheinlich erscheinen zu lassen (BFH BFH/NV 1993, 351 mwN; BFH BFH/NV 2000, 1119; 2006, 1338).
Beispiel:
Im Rahmen einer Außenprüfung wird bei einem Gaststättenbetrieb festgestellt, dass die Buchführung formell und materiell nicht ordnungsgemäß ist. Das FA schätzt einen zusätzlichen Gewinn für die Jahre 01–03 iHv 100 000 EUR. Grundlage der Schätzung ist eine Kalkulation, die auf Getränkelieferungsnachweisen beruht.
Der StPfl kann nachweisen, dass die Unterlagen zu den Getränkelieferungen nicht zutreffend sind (zB doppelte Erfassung von Lieferungen).
Der StPfl kann sich bei seiner Darstellung auch anderer Schätzungsmethoden als das FA bedienen (Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz 104; Koenig/Gercke, § 162 AO Rz 129). Liegen keine Steuererklärungen vor, bedarf es für den Vortrag der Tatsachen nicht einer Abgabe der Steuererklärung. Es reicht aus, wenn die Besteuerungsgrundlagen formlos dem FA mitgeteilt werden (BFH BFH/NV 2004, 8; 1996, 801).
Rn. 2245
Stand: EL 168 – ET: 10/2023
Häufig wird der Betriebsprüfer Feststellungen zu einem VZ getroffen haben, die er auf andere VZ überträgt. Hier stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Übertragung möglich ist. Grundsätzlich dürfen Ermittlungsergebnisse des Betriebsprüfers auch für die Besteuerung außerhalb des Prüfungszeitraums genutzt werden. Ein Verwertungsverbot besteht nur dann, wenn die Prüfungsanordnung rechtswidrig war (BFH BStBl II 1986, 116). Problematisch ist aber eine Übertragung dann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Verhältnisse in den anderen VZ, auf die die Ergebnisse übertragen werden sollen, sich von denen des Prüfungsergebnisses unterscheiden. Dies spielt insbesondere innerhalb des Prüfungszeitraumes eine Rolle.
Der BFH hielt es in einem Fall für zulässig, für alle Prüfungsjahre einen einheitlichen Aufschlagsatz zu wählen, der aufgrund der Verhältnisse nur eines VZ ermittelt wurde. Es war zwar nicht auszuschließen, dass sich die Umsätze des gegliederten Unternehmens in den einzelnen Betriebszweigen von Jahr zu Jahr unterschiedlich entwickeln. Das FG konnte jedoch nach Auffassung des BFH unterstellen, dass sich derartige Verschiebungen in Grenzen hielten. Überdies musste und durfte es angesichts der Unzulänglichkeit der Buchführungszahlen zu – auch groben – Vereinfachungen schreiten. Das FG handelte – so der BFH – entsprechend dem anerkannten Schätzungsgrundsatz, dass im inneren Betriebsvergleich Merkmale eines Wj auf andere Wj übertragen werden dürfen (BFH BStBl II 1982, 409; Koenig/Gercke, § 162 AO Rz 105; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz 60).
Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Jedoch gilt aber auch hier, wenn Tatsachen oder Erfahrungssätze vorgetragen werden, die einer solchen Übertragung widersprechen, so sind diese bei der Übertragung zu beachten. Dies kann zur Folge haben, dass die Schätzungsergebnisse eines VZ nicht auf die anderen VZ übertragen werden können. Die Umstände des Einzelfalles sind dabei zu beachten.
Beispiel:
Im Rahmen einer Außenprüfung wird bei einem Gaststättenbetrieb festgestellt, dass die Buchführung formell und materiell nicht ordnungsgemäß ist. Das FA schätzt einen zusätzlichen Gewinn für die Jahre 01–03 iHv 100 000 EUR. Grundlage der Schätzung ist eine Kalkulation, die sich auf das Jahr 02 bezieht und auf die anderen Jahre übertragen wurde.
Der StPfl trägt vor, dass er im VZ 03 schwer erkrankt gewesen sei und nachweislich wegen dieser Erkrankung die Gaststätte mehrere Monate geschlossen war. Darüber hinaus sei wöchentlich die Gaststätte im VZ 03 zusätzlich einen Tag geschlossen gewesen.
Hier kann der genannte Schätzungsgrundsatz im VZ 03 nicht angewandt werden, da Tatsachen vorgetragen wurden, die geeignet sind, von einem geringeren Schätzungsbetrag auszugehen.
Rn. 2246
Stand: EL 168 – ET: 10/2023
Folgende Umstände bzw Einwendungen führen nicht zur Änderung der Schätzung:
- Der StPfl kann nicht durch Abgabe einer Steuererklärung den Regelungsinhalt eines Schätzungsbescheides beeinflussen (BFH BFH/NV 2006, 251). Der Schätzungsbescheid bleibt weiterhin wirksam.
- Der StPfl kann nicht beanspruchen, dass das aufgrund einer Schätzungsmethode gefundene Ergebnis noch durch Anwe...