Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 492
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Insgesamt führt das Hantieren mit dem objektiv vorhandenen Wissen oder dem subjektiv bei ordentlicher Sorgfalt Gewussten oder objektiv Wissbaren, sei dies nun am Bilanzstichtag oder -erstellungstag, zu keinem logisch stringenten Ergebnis. Dazu nochmals ein Bsp.
Beispiel:
Bilanzstichtag 31.12.00. Der Kaufmann hat eine überfällige Forderung gegen einen Kunden im Inl oder Ausl. Nach der über die Hausbank eingezogenen Auskunft ist der betreffende Kunde auch anderwärts mit Zahlungsrückständen aufgefallen. Mitarbeiter haben mehrfach ihre Löhne erst verspätet ausgezahlt bekommen. Weitere Erkenntnisse liegen weder am 31.12.00 noch am 20.02.01 (Bilanzerstellungsdatum) vor.
Die Forderung geht am 20.03.01, alternativ am 20.03.05 ein.
Alternative: Die Forderung geht nach langjährigen Verhandlungen mit dem Schuldner zu 50 % am 30.03.03 ein, der Kaufmann verzichtet gegen Besserungszusage auf den Restbetrag.
Frage:
Wie beeinflusst das subjektiv Gewusste, das objektiv Wissbare oder der subjektive Kenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns den Wertansatz für die Forderung am 31.12.00?
Antwort:
Mit dem theoretischen Rüstzeug aus der BFH-Rspr ist die Frage nicht zu beantworten. Allerdings: Es gibt auch keine andere rechtssystematische Basis, und zwar aus einem einfachen Grund: (Auch) dem Kaufmann ist keine hellseherische Begabung zu eigen, diese ist nur dem post festum – also mit dem besseren oder eigentlichen Wissen über den Vorgang – gesegneten Betriebsprüfer oder Richter in retrospektiver Form möglich. Daraus erklärt sich die Lösung solcher Bilanzierungsprobleme in der Steuererhebungspraxis: Geht die Forderung bis zur Beendigung der Außenprüfung oder der mündlichen Verhandlung vor dem FG ein, wird subjektiv Gewusstes, objektiv Wissbares oder subjektiver Erkenntnisstand über diesen Eingang mit Erfolg kaum bestritten werden können und umgekehrt. Das Abstellen auf das "Wissen" – sei es nun subjektiv gewusst oder objektiv wissbar etc – hantiert mit falschen Begriffen. Der Kaufmann kann gar nicht wissen, ob und wann und in welcher Höhe die Forderung eingeht. Er kann hier nur Vermutungen walten lassen, und bei Vermutungen versagen endgültig die Begriffe von subjektiv und objektiv als Unterscheidungsmerkmal: Subjektive Vermutungen sind ein Pleonasmus, und objektive Vermutungen ein Widerspruch in sich selbst.
Rn. 492a
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Beide Konzeptionen bedürfen eines "praktikablen Kriteriums, ob nach dem Abschlussstichtag eintretende Ereignisse die am Abschlussstichtag gegebenen Vermögensverhältnisse erhellen oder ob sie erst im neuen Geschäftsjahr erfolgende Änderungen der Abschlussstichtags-Vermögensverhältnisse betreffen" (Moxter, DStR 2008, 470).
Beispiel:
Die (damalige) Daimler-Benz AG war zum 31.12.1995 (Bilanzstichtag) mit einem hohen Engagement am Fokker-Flugzeugwerk beteiligt. Die Tochtergesellschaft war notleidend geworden. Daimler machte die Weiterführung des Unternehmens von einer Milliardenhilfe der niederländischen Regierung abhängig. Diese wurde nach dem Bilanzstichtag abgelehnt, weshalb der Beteiligungswert bei der Daimler-Benz AG auf Null sank.
Frage:
Ist die Ablehnung der Subvention im neuen Jahr vor der Bilanzerstellung ein wertaufhellendes oder wertbegründendes Ereignis?
Beispiel:
Die Fritz Werner & Niles AG, Werkzeugmaschinenhersteller in Berlin, geriet 1995 zunehmend in die Krise. Der Bilanzstichtag war der 31.12.1995. Im Januar 1996 verbreitete der Vorstand Pressemitteilungen, denen zufolge die akuten Schwierigkeiten durch ein Finanzierungskonzept aller Beteiligten aufgefangen werden könnten. Im Februar 1996 musste der Vorstand einen Konkursantrag stellen.
Frage:
Ist das Nichtzustandekommen des Finanzierungskonzepts mit der Folge des Konkursantrages für den Stichtag 31.12.1995 wertaufhellend oder wertbegründend?
Hier wird die Bilanzierungsentscheidung von der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit bestimmt. Niemand wird Verständnis für ein wertbegründendes Ereignis in der Insolvenz etc. kurz nach dem Bilanzstichtag aufbringen. Diese "Ereignisse" müssen in die Bilanz zum 31.12.1995 einfließen.
Rn. 492b
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Systematisch muss unterschieden werden nach den am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnissen bzw Zuständen, (nach IAS 10.3 conditions) einerseits und Ereignissen (events), die diese Verhältnisse bestätigen, also erhellen andererseits. Die Insolvenz des schleppend zahlenden Kunden wäre als ein solches Ereignis zu werten, das den Zustand der Kundenforderung am Bilanzstichtag (also die Wertlosigkeit) bestätigt. In anderen Fällen ist die Ortung des Ereignisses idS ungleich schwieriger.
Beispiel (ähnlich bei Hüttemann in FS Priester, 2007, S 313: Infektion einer Schafherde):
Das Unternehmen U hat ein neues Haarwaschmittel flächendeckend in den Medien beworben und zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt geworfen. Anfang Februar (Bilanzstichtag 31.12.) mehren sich Kundenbeschwerden infolge Haarausfalls.
Rn. 492c
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Im Gegensatz zum Insolvenzfall als zeitp...