Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 494
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Nochmals zurück zu dem obigen Fall mit dem Haarwaschmittel (s Rn 492b). Die Berücksichtigung des Schadens hängt vom Eingehen der Information vor oder nach der Bilanzerstellung ab (wenn das schadhafte Los tatsächlich vor dem Bilanzstichtag produziert worden ist). Die Bilanz wäre dann so oder so – Informationseingang vor oder nach Bilanzerstellung – für StB-Zwecke unrichtig, wenn man dem Konzept von Weber-Grellet, FS Reiß 2008, 483 folgt: Alle am Bilanzstichtag bestehenden Umstände sind bis zur Rechtskraft der Veranlagung zu berücksichtigen. Die StB verfolge andere Zwecke als die HB, nämlich die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. § 5 Abs 1 S 1 EStG iVm § 252 Abs 1 Nr 4 HGB müssen dieser Auffassung zufolge unbeachtet bleiben.
Die Rechtskraft der Veranlagung kann sich Weber-Grellet zufolge bis zum Ende des finanzgerichtlichen Verfahrens hinziehen, in der Praxis also in Zeiträumen regelmäßig zwischen sechs und zwölf Jahren. Alle am Bilanzstichtag bestehenden Verhältnisse sind nicht nur bei Bekanntwerden bis zur Bilanzerstellung, sondern bis zur rechtskräftigen Veranlagung zu berücksichtigen. Die Kenntnisse oder das Kennenmüssen des StPfl am Bilanzstichtag oder am Erstellungstag sollen steuerrechtlich irrelevant sein.
Beispiel:
Eine deutsche Bank hat sog Argentinien-Anlagen im Portefeuille. Sie hat diese in der Bilanz zum 31.12.01 auf 40 % des Nennbetrages abgeschrieben. Darüber entstand ein Rechtsstreit mit dem FA der sich am 31.12.07 im Klageverfahren befand. Bis dahin ist keine Rückzahlung auf die Forderung erfolgt, die Bank begehrt deshalb eine weitere Abschreibung auf Null. Die Frage ist, ob nun das FG die objektiven Verhältnisse am 31.12.01 nach den Vorgaben von Weber-Grellet als "objektiv" mit einem Wert von Null beurteilt oder vielleicht die Entscheidung aussetzt, bis tatsächlich ein Eingang eines Teilbetrages der Forderung oder der endgültige Ausfall feststellt.
Das Bsp soll belegen: Mit der praktisch immerwährenden Hinauszögerung einer Bilanzierungsentscheidung ist der Praxis nicht gedient. Sie erscheint auch im Hinblick auf die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit – dem Hauptargument Weber-Grellets – nicht erforderlich, insb im Hinblick auf den wohltuenden Ausgleich des Bilanzenzusammenhangs, der ja eine aus dem objektiven Betrachtungswinkel post festum unrichtige Bilanzierung im Zeitverlauf wieder ausgleicht. Hier ist nochmals auf den fehlerhaften Denkansatz der "objektiv richtigen Bilanzierung" zu verweisen: Viele Bilanzposten sind immer nur durch Schätzung zu ermitteln, und Schätzungen sind notwendigerweise aus der Ex-post-Betrachtung falsch. Diesem Wesenselement der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich kann nicht durch einen permanenten Aufschub einer endgültigen Bilanzentscheidung begegnet werden. Im Übrigen löst das ständige Hinausschieben der Bilanzierungsentscheidung nicht das Hauptproblem im Fallbeispiel des Haarwaschmittels, nämlich die Feststellung, ob die Haarausfälle aus einem Produktionslos vor oder nach dem Bilanzstichtag resultieren (s Rn 492b).