Rn. 60

Stand: EL 173 – ET: 06/2024

Wohnräume unterliegen nach Art 13 GG besonderem Schutz und dürfen deshalb gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten werden. Wohnräume sind zunächst diejenigen Räumlichkeiten, die der persönlichen Sphäre des Inhabers der Räume zuzurechnen sind und die dieser oder eine andere Person ausschließlich zu privaten Wohnzwecken nutzt; ausführlich zu gemischt genutzten Räumen s Rn 47 ff sowie Kemper in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 27b UStG Rz 42ff (Juli 2019). Der Inhaber der Wohnung ist nicht notwendig die Person, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit iSd § 42g Abs 2 S 2 EStG ausübt, sondern kann auch eine andere Person sein, die die Verfügungsgewalt über die Wohnräume ausübt. Wer der Inhaber der Wohnräume ist, gewinnt Bedeutung im Hinblick auf die Frage, ob die Betretung gegen den Willen des Inhabers oder mit dessen Zustimmung erfolgt ist.

 

Rn. 61

Stand: EL 173 – ET: 06/2024

§ 42b Abs 2 S 3 EStG übernimmt hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen Wohnräume iRd LSt-Nachschau betreten werden dürfen, fast wortgleich die Eingriffsvoraussetzungen der Grundrechtsschranke nach Art 13 Abs 7 GG; damit ist § 42g Abs 2 S 3 EStG inhaltlich verfassungsgemäß, Wagner in Brandis/Heuermann, § 42g EStG Rz 33 (Mai 2022). Allerdings dürfte § 42g Abs 2 S 3 EStG wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art 19 Abs 1 GG verfassungswidrig sein, ausführlich dazu s Rn 6, so dass die durch das Betreten von Wohnräumen gewonnenen Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen.

 

Rn. 62

Stand: EL 173 – ET: 06/2024

Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist nicht erst dann gegeben, wenn die Gefahr eingetreten ist, sondern bereits dann, wenn der Eintritt der Gefahr droht und die Maßnahme den Zweck verfolgt, diesen Zustand nicht eintreten zu lassen, BVerfG vom 13.02.1964, 1 BvL 17/61, 1 BvR 494/60, 128/61, BVerfGE 17, 232 Rz 70. Zudem muss es sich um eine dringende Gefahr handeln, es müssen also wesentliche Rechtsgüter gefährdet sein, insoweit ist die zeitliche Nähe und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie die Schwere des drohenden Schadens von Bedeutung, Krüger in Schmidt, § 42g EStG Rz 11 (43. Aufl). Ob eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegeben ist, ist eine Frage des Einzelfalls, Wagner in Brandis/Heuermann, § 42g EStG Rz 33 (Mai 2022).

Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unversehrtheit der gesamten objektiven Rechtsordnung und somit auch die Steuergesetze, so dass Verletzungen oder auch Gefährdungen der Steuerrechtsordnung, zB durch Steuerhinterziehungen, grundsätzlich die Voraussetzungen für das Betreten von Wohnräumen gegen den Willen des Inhabers erfüllen können, Wagner in Brandis/Heuermann, § 42g EStG Rz 33 (Mai 2022); Fissenewert in H/H/R, § 42g EStG Rz 35 (Dezember 2022).

Allerdings dient die LSt-Nachschau dem Zweck der ordnungsgemäßen Einbehaltung und Abführung der LSt, so dass eine Verletzung oder Gefährdung des LSt-Aufkommens vorliegen muss. Ferner ist wegen der grundrechtlichen Verbürgung des Art 13 GG dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen, Wagner in Brandis/Heuermann, § 42g EStG Rz 33 (Mai 2022). Damit wird das Betreten von Wohnräumen gegen den Willen des Inhabers im Rahmen einer LSt-Außenprüfung in der Praxis nicht in Betracht kommen, aA Wagner in Brandis/Heuermann, § 42g EStG Rz 33 (Mai 2022): kein Betretungsrecht bei nur geringfügigen und nicht zeitnah eintretenden Gefährdungen; ähnlich Krüger in Schmidt, § 42g EStG Rz 11 (43. Aufl): Betreten von Wohnräumen gegen den Willen des Inhabers nur in Ausnahmefällen.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Stadium eines steuerstrafrechtlichen (Anfangs-)Verdachts vor der LSt-Nachschau nicht erreicht sein darf, Fissenewert in H/H/R, § 42g EStG Rz 22, 35 (Dezember 2022), andernfalls unterliegen sämtliche Erkenntnisse die durch das Betreten von Wohnräumen gegen den Willen des Inhabers gewonnen worden sind, einem Verwertungsverbot.

 

Rn. 63–68

Stand: EL 173 – ET: 06/2024

vorläufig frei

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