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Stand: EL 176 – ET: 10/2024
Das Gesetz regelt zusammengefasst die grundsätzliche abgeltende Wirkung für die Einkünfte aus KapVerm, die dem Steuerabzug unterlegen haben. Es führt dann die Ausnahmen nochmals ausdrücklich an, die an anderer Stelle zu Gunsten und zu Ungunsten des StPfl geregelt sind.
Leider ist jedoch die Frage ausgesprochen strittig, unter welchen engeren Voraussetzungen die KapErtr dem Steuerabzug "unterlegen haben". Der Blick in das Gesetz liefert nicht unbedingt Erhellendes: Der § 32d Abs 3 EStG definiert den Begriff auch nicht näher. Der BMF erläutert in seinem Schreiben zur AbgSt (BMF v 19.05.2022, BStBl I 2022, 742 Rz 144) immerhin, dass es sowohl rechtliche als auch tatsächliche Gründe geben kann, aus denen stpfl KapErtr nicht dem KapSt-Abzug "unterlegen" haben. Nach § 36 Abs Nr 2 EStG wird die "durch Steuerabzug erhobene" ESt angerechnet. Beides ist offenbar nicht das Gleiche. Der § 43 Abs 5 EStG verlangt jedenfalls mehr als der § 2 Abs 1 S 1 Nr 5 EStG, wonach die Einkünfte aus KapVermögen der ESt "unterliegen".
Nach § 44 Abs 5 EStG haften die Abzugsverpflichteten, wenn sie die KapSt nicht "einbehalten und abgeführt" haben.
Der BFH steuert in einem Urt aus einer Zeit vor cum/ex und cum/cum den Gedanken bei, dass eine "ordnungsgemäße" Einbehaltung der KapSt bereits dafür ausreicht, dass sie iSd § 36 Abs 2 Nr 2 EStG "erhoben" ist, auch wenn sie nicht an das FA abgeführt wird (BFH v 23.04.1996, VIII R 30/93, BFH/NV 1996, 364). Noch weiter geht das FG Nürnberg v 11.10.2017, 3 K 348/17, EFG 2018, 117, sowie seinem Urteil FG Nürnberg v 11.11.2019, 5 K 1283/18, DStRE 2020, 964, wonach die Abgeltungswirkung des § 43 Abs 5 S 1 Hs 1 EStG selbst dann eintreten soll, wenn die KapSt nur zum Schein einbehalten worden sei. Anmeldung der KapSt und Abführung seien für die Abgeltungswirkung nicht erforderlich.
Man fragt sich, welche Vorstellung das FG Nürnberg davon hat, dass etwas "der Steuer unterlegen hat" (so auch Weiss, DStRK 2018, 72 aE). Danach würde jede freihändig gefälschte Steuerbescheinigung den Gläubiger der KapErtr zur Anrechnung berechtigen. Nach dieser Logik hätte dann auch in dem Fall des FG Niedersachsen v 23.05.2018, 10 K 190/16, EFG 2019, 1084 (der zu Unrecht ausgewiesene KapSt-Abzug der Gläubigerin die Anrechnung nie einbehaltener nicht gezahlter KapSt auf Scheinrenditen eines Schneeballsystems die Steueranrechnung ermöglicht werden müssen (so wohl Oletic, DStRK 2019, 235). Demgegenüber leitet das FG München v 27.10.2017, 2 K 956/16 unter 2.4 aus dem Wortlaut "unterlegen haben" die Annahme ab, dass mangels eines Einbehalts der KapSt eine Erklärungspflicht nach § 32d Abs 3 EStG folgt.
Der BFH hat Gelegenheit gehabt, in dieser Frage Klarheit zu schaffen, denn sowohl gegen das Urteil des FG Niedersachsen als auch die Urteile des FG Nürnberg ist Revision zugelassen worden (BFH VIII R 17/17 und BFH VIII R 3/20). Letztlich läuft es auf die Frage hinaus, ob der Gläubiger der KapErtr den Anrechnungsanspruch bereits erworben hat, wenn die auszahlende Stelle ihm nur den Nettobetrag gezahlt hat. Der BFH hat in seinem Urt BFH v 27.10.2020, VIII R 42/18, BStBl II 2021, 481 – teilweise inhaltsgleich mit der Entscheidung BFH v 29.09.2020, VIII R 17/17, BStBl II 2021, 468 – eine Abgeltungswirkung nach § 43 Abs 5 S 1 EStG auch dann angenommen, wenn eine Netto-Auszahlung erfolgt und die Steueranmeldung und -abführung unterbleibt. Diese großzügige Auslegung zu Lasten des Fiskus soll selbst bei Scheinrenditen aus betrügerischen Schneeballsystemen gelten. In dem Urt VIII R 17/17 geht der BFH von einer gesetzlichen Risikoverteilung aus, die dem Staat und nicht dem Kunden des Finanzinstituts das Risiko aufbürdet (vgl Rz 25 des Urt). Bemerkenswert ist auch, dass sich der Senat auf die gesetzgeberische Absicht beruft, die zur Einfügung des Wortes "soweit" in § 43 Abs 5 S 1 EStG im Jahre 2010! geführt hat und dabei den Wortlaut des Gesetzes nachrangig betrachtet.
Einer Steuer unterlegen hat der KapErtr jedenfalls nicht, wenn der Betrag die öffentlichen Kassen nicht erreicht. Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass allein durch die Anweisung einer Netto-Auszahlung der KapErtr die gesetzlichen Voraussetzungen der Abgeltungswirkung erfüllt sein sollten.
Es sei hier noch einmal daran erinnert, dass auf Grund der Systematik der AbgSt die Kreditinstitute als Organe der Steuererhebung anzusehen sind, die die Rechtsauffassung der FinVerw hinsichtlich des KapSt-Einbehalts anzuwenden haben (vgl BT-Drs 17/3549, 6), wie sie im BMF-Schreiben zur Anwendung der AbgSt zum Ausdruck kommt; vgl BMF v 19.05.2022, BStBl I 2022, 742). Mit dem SteuerÄndG 2015 (BGBl I 2015, 1834) ist bereits eine entsprechende gesetzliche Klarstellung erfolgt (§ 44 Abs 1 S 3 EStG). Erhebt das FA selbst eine Steuer, so ist diese erst dann gezahlt, wenn der geschuldete Betrag auf dem Konto des FA eingegangen ist. Die Zwischenschaltung eines Inkasso-Beauftragten (Kreditinstitut) ändert an dieser Beurteilung nichts.
Ergänzend Hinweis auf BFH v 02...