Rn. 173
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Der Steuerabzug muss nicht vorgenommen werden, wenn der Leistende dem Leistungsempfänger eine im Zeitpunkt der Gegenleistung gültige Freistellungsbescheinigung nach § 48b Abs 1 S 1 EStG vorlegt (§ 48 Abs 2 S 1 Hs 1 EStG). Der Leistende hat die Wahl, ob er im Zusammenhang mit der Bauleistung eine Freistellungsbescheinigung vorlegt.
- Wird die Freistellungsbescheinigung vorgelegt, darf der Leistungsempfänger den Steuerabzug nicht vornehmen (Ebling, DStR 2001, Beihefter zu Heft 51/52; Schroen, NWB Fach 3, 12 261; Fuhrmann, KÖSDI 2003, 13 771). Für den Fall, dass er den Steuerabzug trotz Vorliegens einer gültigen Freistellungsbescheinigung durchführt, s Rn 154.
- Legt der Leistende die Freistellungsbescheinigung nicht vor, ist der Leistungsempfänger dagegen verpflichtet, beim Vorliegen der Voraussetzungen in § 48 Abs 1 S 1 EStG und dem Nichteingreifen der Zweiwohnungsgrenze und der Bagatellgrenzen den Steuerabzug vorzunehmen. Führt er den Steuerabzug nicht durch, haftet er grds gemäß § 48a Abs 3 S 1 EStG (im Einzelnen s § 48a Rn 63ff (Wienbergen)).
Rn. 174
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Zu den Voraussetzungen und dem Verfahren der Ausstellung der Freistellungsbescheinigung s § 48b Rn 14ff (Wienbergen).
Rn. 175
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Die Freistellungsbescheinigung muss nach dem Wortlaut des § 48 Abs 2 S 1 Hs 1 EStG gültig sein. Die Gültigkeit ergibt sich aus den Angaben, die in der Bescheinigung gemacht werden. Neben dem Namen, der Anschrift und der Steuernummer des Leistenden wird die Geltungsdauer der Bescheinigung, der Umfang der Freistellung und ggf der betroffene Leistungsempfänger angegeben (§ 48b Abs 3 EStG). Die Freistellungsbescheinigung darf auch nicht zwischenzeitlich aufgehoben worden sein.
Rn. 176
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Ist die Freistellungsbescheinigung ohne Wissen des Leistungsempfängers gemäß § 130 AO mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden oder gemäß § 131 AO vor der Erbringung der Gegenleistung widerrufen worden, lebt die Steuerabzugsverpflichtung nachträglich wieder auf bzw besteht trotz vorgelegter Freistellungsbescheinigung infolge des Widerrufs fort. Nach Auffassung der FinVerw ist in diesen Fällen der unterlassene Steuerabzug bei der Erbringung zukünftiger Gegenleistungen nachzuholen, soweit zukünftige Gegenleistungen dazu ausreichen (Tz 77 BMF BStBl I 2022, 1229; Schmitt/Seitz, Stbg 2001, 669).
Diese Auffassung ist abzulehnen, weil sich die Steuerabzugsverpflichtung auf die jeweilige Gegenleistung bezieht und keine Rechtsgrundlage für einen zusätzlichen Einbehalt bei anderen Gegenleistungen ersichtlich ist (ebenso: Fuhrmann, KÖSDI 2001, 13 093; Stickan/Martin, DB 2001, 1441; Ebling, DStR 2001, Beihefter zu Heft 51/52; Apitz, FR 2002, 10). In diesen Fällen entfällt auch die Haftung des Leistungsempfängers für den unterbliebenen Steuerabzug, wenn er auf die Rechtmäßigkeit der Freistellungsbescheinigung vertrauen konnte (§ 48a Abs 3 S 2 EStG). Das ist nach § 48a Abs 3 S 3 EStG aber dann nicht gegeben, wenn die Freistellungsbescheinigung durch unlautere Mittel oder durch falsche Angaben erwirkt wurde und dem Leistungsempfänger dies bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.
Rn. 177
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Die gültige Freistellungsbescheinigung muss spätestens im Zeitpunkt der Erbringung der Gegenleistung vorliegen (Fuhrmann, KÖSDI 2001, 13 093; Apitz, FR 2002, 10). Ist die in diesem Zeitpunkt vorgelegte Freistellungsbescheinigung entweder nicht gültig oder kann der Leistungsempfänger auf ihre Rechtmäßigkeit nicht vertrauen oder wird die Freistellungsbescheinigung erst nach der Erbringung der Gegenleistung vorgelegt, ist der Leistungsempfänger verpflichtet, den Steuerabzug vorzunehmen (Tz 45 BMF BStBl I 2022, 1229). Dies gilt auch, wenn die Gegenleistung nur eine Voraus- oder Teilzahlung ist und im Zeitpunkt der Schlussabrechnung eine gültige Freistellungsbescheinigung vorliegt. Der Leistungsempfänger ist in diesen Fällen nur berechtigt, bei der verbleibenden Schlusszahlung keinen Steuerabzug vorzunehmen (Tz 42 BMF BStBl I 2022, 1229; Apitz, FR 2002, 10). Zum Absehen von der Haftungsinanspruchnahme s Rn 182 und s § 48a Rn 91 (Wienbergen)).
Rn. 178
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Ist die Gegenleistung abgetreten, reicht es aus, wenn der Leistende (oder der Zessionar) die Freistellungsbescheinigung im Zeitpunkt der Zahlung vorlegt. Der Zeitpunkt der Abtretungserklärung ist nicht maßgebend (Diebold, DB 2003, 1134). Die Freistellungsbescheinigung muss für den Leistenden und nicht für den Zessionar ausgestellt worden sein (BGH VII ZR 97/04, BGHZ 163, 103). Diese Grundsätze gelten auch beim echten oder unechten Factoring oder beim Forderungskauf (Tz 43 BMF BStBl I 2022, 1229). Ist im Zeitpunkt der Zahlung keine Freistellungsbescheinigung vorhanden, ist der Steuerabzug auch dann vorzunehmen, wenn der Zessionar in Unkenntnis der Steuerabzugsverpflichtung die Gegenleistung in voller Höhe einfordert. Der Zessionar muss sich wegen der für ihn e...