Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
a) Erstausübung des Wahlrechts
Rn. 40
Stand: EL 166 – ET: 08/2023
Ausübungszeitpunkt: Das Wahlrecht zur Bestimmung des Wj wird durch Aufstellung der ersten Bilanz ausgeübt (BFH v 16.02.1989, IV R 307/84, BFH/NV 1990, 632; BFH v 16.12.2003, VIII R 89/02, BFH/NV 2004, 936; BFH v 09.11.2006, IV R 21/05, BStBl II 2010, 230; BFH v 07.11.2013, IV R 13/10, BStBl II 2015, 226). Die tatsächliche Aufstellung des ersten JA ist von der Umstellung des Wj abzugrenzen, da Letzteres der Zustimmung des FA bedarf.
Eine bestimmte Form der Wahlrechtsausübung ist nicht vorgeschrieben (BFH v 07.11.2013, IV R 13/10, BStBl II 2015, 226). Die Norm stellt auf den Realakt ab (tatsächliche abschließende Erstellung als Organisationsakt des Kaufmanns, vgl BFH v 09.11.2006, IV R 21/05, BStBl II 2010, 230), die erstmalige Wahlrechtsausübung erfolgt unabhängig von der Mitwirkung des FA. Bei Willensänderungen bzgl der Wahl des Abschlussstichtages bis zur Erstellung des ersten – endgültigen – eingereichten Abschlusses liegt nicht bereits eine zustimmungspflichtige Wj-Umstellung vor, diese vollzieht sich vielmehr im Rahmen der zustimmungsfreien endgültigen Bestimmung des ersten Wj (zum Zeitpunkt der Vorlage beim FA als Zeitpunkt der Wahlrechtsausübung im Sonderfall der Herauslösung eines Gewerbebetriebs aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb abstellend auch BFH v 09.11.2006, IV R 21/05, BStBl II 2010, 230 unter II.1.c.aa.).
Rn. 41–44
Stand: EL 166 – ET: 08/2023
vorläufig frei
b) Einschränkung des Erstausübungs-Wahlrechts: Allgemeine Missbrauchskontrolle (§ 42 AO)
Rn. 45
Stand: EL 166 – ET: 08/2023
Kumulation allgemeiner und spezieller Missbrauchskontrolle: Bei der erstmaligen Wahl des Abschlussstichtages durch die im HR eingetragenen gewerblichen Unternehmen bejaht die Rspr eine Einschränkung der Wahlrechtsfreiheit durch die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO, wenn die erstmalige Wahl eines vom Kj abweichenden Abschlussstichtages ausschließlich steuerlich motiviert ist (zB BFH v 16.12.2003, VIII R 89/02, BFH/NV 2004, 936). Die einschlägige Rspr ist allerdings insoweit nicht bedenkensfrei, als der Gesetzgeber in § 4a Abs 1 S 2 Nr 2 S 2 EStG eigens eine spezielle Missbrauchsschranke vorgesehen hat (s Rn 50) und der bereits mit Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes (BT-Drs 7/1470 v 09.01.1974, 19) eingebrachte Vorschlag, über die Umstellung auf ein abweichendes Wj hinaus auch die initiale Wahl eines vom Kj abweichenden Wj bei Betriebseröffnung vom Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe und von der Zustimmung des FA abhängig zu machen, nicht umgesetzt worden ist (so Schiffers in Korn, § 4a EStG Rz 29.1 (August 2018)). Die Gesetzesbegründung führte vielmehr aus, dass der Entwurf insoweit "eine Einschränkung" der Wj-Wahlrechtsfreiheit bedeutet hätte (BT-Drs 7/1470 v 09.01.1974, 244), was unzutreffend wäre, wenn bereits § 42 AO insoweit einrückt.
Nach Rspr des I. Senats des BFH schließt eine spezielle Missbrauchsnorm die Anwendung des § 42 AO auch dann aus, wenn im Einzelfall nicht alle ihre Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (BFH v 19.01.2000, I R 94/97, BStBl II 2001, 222; BFH v 19.01.2000, I R 117/97, HFR 2000, 553; BFH v 20.03.2002, I R 63/99, BStBl II 2003, 50; BFH v 29.01.2008, I R 26/06, BStBl II 2008, 978); die Wertung spezieller Missbrauchsnorm wirkt abschirmend gegenüber § 42 AO, etwaig bestehende Schutzlücken sind grundsätzlich innerhalb der speziellen Missbrauchsnorm, nicht durch ergänzende Anwendung des § 42 AO zu schließen (ausführlich Hahn, DStZ 2008, 483, 486 ff).
Hierauf hat der Gesetzgeber zwar mit der Neufassung des § 42 AO durch das JStG 2008 (BGBl 2007, 3150) reagiert, die Diskussion um das Konkurrenzverhältnis der allgemeinen zu speziellen Missbrauchsnormen damit allerdings nicht beendet. § 42 Abs 1 S 2 AO regelt seither, dass wenn der Tatbestand einer einzelsteuergesetzlichen Regelung erfüllt ist, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, sich die Rechtsfolgen (ausschließlich) nach dieser speziellen Vorschrift bestimmen (vgl auch BFH 23.04.2021, IX R 8/20, BStBl II 2021, 743 zu § 23 EStG). Ist der Tatbestand der speziellen Norm nicht erfüllt ("anderenfalls"), soll nach § 42 Abs 1 S 3 AO stets § 42 Abs 2 AO zur Anwendung kommen. In diesem Fall bestimme sich das Vorliegen eines Missbrauchs allein nach den Voraussetzungen des § 42 Abs 2 AO (BT-Drs 16/6290, 81; BT-Drs 16/7036, 24).
Auch die FinVerw vertritt, allein das Vorliegen einer einzelgesetzlichen Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, schließe die Anwendbarkeit des § 42 Abs 1 S 2 iVm Abs 2 AO nicht aus (AEAO zu § 42 Nr 1 AO). Bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs iSd § 42 Abs 2 AO sind gleichwohl diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den einzelsteuergesetzlichen Vorschriften zur Verhinderung von Steuerumgehungen zugrunde liegen, zu berücksichtigen (Wertungsvorgabe einzelsteuerlicher Missbrauchsvorschriften, BFH v 17.11.2020, I R 2/18, BStBl II 2021, 580). Nach dieser Grundwertung kommt für Fälle, die vom Tatbestand einer spezialgesetzlichen Missbrauchsnorm gerade nicht erfasst werden – wie nach dem Gesetzgebungsverfahren zum D...