Jürgen Dräger, Tobias Müller
Rn. 1001
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die handelsrechtlichen Bewertungsvorgaben für die Verbindlichkeitsrückstellungen werden durch § 6 Abs 1 Nr 3a EStG nicht aufgehoben, sondern nur durchbrochen, soweit die Buchst-Abschn a–e des § 6 Abs 1 Nr 3a EStG niedrigere Wertansätze als das HGB vorsehen (BFH v 11.10.2012, I R 66/11, DStR 2013, 451 Tz 14 mit Anm Hoffmann). Vielmehr soll dem BFH zufolge eine Vollkostenbewertung erfolgen (Tz 15); eine Beschränkung auf variable Gemeinkosten scheidet aus (Tz 21), ebenso wie auf notwendige Gemeinkosten (Tz 22). Auch die begriffliche Übernahme der "Notwendigkeit" aus der Bewertungsvorgabe des § 255 Abs 2 S 3 HGB aF in die Rückstellungsbewertung lehnt der BFH ab (Tz 25). Das gilt auch für den durch das BilMoG v 25.05.2009 (s vor § 1 Rn 193 (Bitz)) statt "notwendig" verwendeten Begriff in § 255 Abs 2 HGB "angemessen". Generell sollen nach dem BFH die Wahlrechte in den handelsrechtlichen Bewertungsvorgaben des § 255 Abs 2 S 3 HGB (Verwaltungskosten, Sozialkosten) und Abs 3 (Zinsen) keinen Bewertungsvorbehalt für die Rückstellungen bedeuten; vielmehr sind diese Kostenelemente – gerade auch Zinsen – in die Bewertung einzubeziehen.
Rn. 1002
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die FinVerw (LfSt Bay v 31.01.2014, S 2175.2.1–20/4 St 32; die nachstehenden Berechnungs-Bsp sind dieser Vfg entnommen; vgl hierzu Adrian, StuB 2014, 243) hat das Urt BFH v 11.10.2012, I R 66/11, BStBl II 2013, 676 zum Anlass genommen, die Berechnungsmethoden zur Ermittlung des fraglichen Zinsaufwandes näher zu fixieren. Dabei beschränkt die Verwaltung die Anwendung des Urteils nicht auf Kreditinstitute wie im Urteilsfall des BFH (dort eine Sparkasse). Es ging um die Finanzierung von Archivräumen zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen. Die Finanzierungsmittel müssen der Verwaltung zufolge in einem bestimmten Verfahren den AK oder HK der Räumlichkeiten zugeordnet werden. Bei spezieller Kreditaufnahme ist die Zuordnung eindeutig. Ansonsten – bei gemischter Eigen- und Fremdfinanzierung – bedarf es einer verursachungsgerechten Schlüsselung.
Im BFH-Fall lag eine sog Poolfinanzierung vor. Bei einer solchen gibt der Bilanzierer seine gesamten Eigen- und Fremdmittel in einen "Pool" und finanziert daraus seinen Geschäftsbetrieb. Dem BFH zufolge besteht die Vermutung einer Zuordnung des Zinsaufwandes nach der FK-Quote des "Pools" im Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung der betreffenden Investition (im BFH-Fall Archivierungsräume). In der Folgezeit ist die Veränderung des anteiligen FK am Finanzierungspool zu überprüfen. Bei sinkendem FK-Anteil muss eine Tilgung durch höheren EK-Anteil angenommen werden. Daneben kann sich auch der durchschnittliche Passivzinssatz verändern. Die Rückführung zugeordneter Kredite ist der Verwaltung zufolge entsprechend der Nutzungsdauer zu unterstellen.
Dazu wird in der zitierten Vfg folgendes Bsp geliefert:
Beispiel zur Berechnung des Finanzierungskostenanteils:
Der anteilige Buchwert der Archivräume beträgt zum 31.12.01 10 000 EUR, die jährliche AfA beträgt 300 EUR. Im Jahr 01 beträgt der durchschnittliche Passivzinssatz 3,5 %, im Jahr 02 beträgt er 3,6 %. Die Geschäftsunterlagen sind sechs Jahre aufzubewahren. Im Zeitpunkt der Anschaffung der Archivräume betrug das EK im Pool 20 000 EUR und das FK 80 000 EUR. Die Quote ist bis einschließlich 01 konstant geblieben. Im Jahr 02 beträgt die FK-Quote des Finanzierungspools 79 %.
Berechnung:
FK-Quote = |
FK |
= |
EUR 80 000 |
= 0,8 |
|
FK + Eigenkapital |
EUR 80 000 + EUR 20 000 |
Rückstellung zum 31.12.01:
Jahr |
Anteiliger Buchwert |
x |
FK-Quote |
x |
durchschn. Passivzinssatz |
02 |
9 700 |
x |
0,8 |
x |
0,035 |
= |
272 |
03 |
9 400 |
x |
0,8 |
x |
0,035 |
= |
263 |
04 |
9 100 |
x |
0,8 |
x |
0,035 |
= |
255 |
05 |
8 800 |
x |
0,8 |
x |
0,035 |
= |
246 |
06 |
8 500 |
x |
0,8 |
x |
0,035 |
= |
238 |
07 |
8 200 |
x |
0,8 |
x |
0,035 |
= |
230 |
|
1 504 |
Die durchschnittlichen Kosten pro Jahr betragen somit (: 6 Jahre) |
= |
251 |
Die jährlichen durchschnittlichen Kosten sind mit dem Faktor 3,5 zu multiplizieren |
= |
879 |
Der Anteil der Finanzierungskosten in der Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen zum 31.12.01 beträgt somit 879 EUR.
Durch den Faktor 3,5 wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich in den Archivräumen Unterlagen befinden, die noch unterschiedlich lange aufzubewahren sind.
Rückstellung zum 31.12.02:
Jahr |
Anteiliger Buchwert |
x |
FK-Quote |
x |
durchschn. Passivzinssatz |
03 |
9 400 |
x |
0,79 |
x |
0,036 |
= |
267 |
04 |
9 100 |
x |
0,79 |
x |
0,036 |
= |
259 |
05 |
8 800 |
x |
0,79 |
x |
0,036 |
= |
250 |
06 |
8 500 |
x |
0,79 |
x |
0,036 |
= |
242 |
07 |
8 200 |
x |
0,79 |
x |
0,036 |
= |
233 |
08 |
7 900 |
x |
0,79 |
x |
0,036 |
= |
255 |
|
1 476 |
Die durchschnittlichen Kosten pro Jahr betragen somit (: 6 Jahre) |
= |
246 |
Die jährlichen durchschnittlichen Kosten sind mit dem Faktor 3,5 zu multiplizieren |
= |
861 |
Rn. 1003
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
vorläufig frei