Jürgen Dräger, Tobias Müller
Rn. 1096
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Schon immer war in der Besteuerungspraxis das Thema der privaten Nutzung eines im BV befindlichen Kfz ein "heißes Eisen". Mit Wirkung ab 1996 hat der Gesetzgeber für diese Form der Nutzungsentnahme eine Spezialregelung folgenden Inhalts getroffen:
- typisierende Festlegung des privaten Nutzungsanteils ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Kosten,
- Möglichkeit für den StPfl, die Höhe der Privatnutzung durch ein Fahrtenbuch nachzuweisen (Escape-Klausel nach § 6 Abs 1 Nr 4 S 3 EStG),
- pauschalierte Berücksichtigung der Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und für Familienheimfahrten gem § 4 Abs 5 S 1 Nr 6 EStG (s §§ 4,5 Rn 1723ff (Nacke)),
- Werden mehrere Kfz in einem BV privat genutzt (s Rn 1110) kann zwischen Typisierung (1 %) und Fahrtenbuch je Fahrzeug unterschiedlich gewählt werden (BFH v 03.08.2000, III R 2/00, BStBl II 2001, 332).
- Steuerliche Berücksichtigung von selbst getragenen Kfz-Kosten sowohl bei Anwendung der 1 %-Regel als auch bei Anwendung der Fahrtenbuchmethode (BFH v 30.11.2016, VI R 2/17, HFR 2017, 314 und BFH v 30.11.2016, VI R 49/14, HFR 2017, 317, ergangen zu ArbN, Anm Geserich, HFR 2017, 316, sowie BFH v 16.12.2020, VI R 19/18, gleichmäßige Verteilung der (Einmal-)Zahlungen des ArbN für ein ihm auch zur Privatnutzung überlassenes betriebliches Kfz). Zur Vertragsgestaltung rund um die Fahrzeugüberlassung Wehl, NWB 2017, 3076.
- Zur Privatnutzung des betrieblichen Pkw durch ArbN, vgl BMF v 03.03.2022, BStBl I 2022, 232 und zu den Änderungen Weber, BBK 2022, 338.
Im Ergebnis gilt danach Folgendes (entnommen der Begründung des Urt des FG München v 09.03.2021, 6 K 2915/17):
- Für jedes Fahrzeug, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, ist für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich USt eine Entnahme anzusetzen
- Diese Regel kommt nicht zum Tragen, wenn eine private Nutzung nicht stattgefunden hat (BFH v 19.05.2009, VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974). Daher muss ich das FG grundsätzlich die volle Überzeugung (§ 96 Abs 1 S 1 FGO) davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat, wenn es § 6 Abs 1 Nr 4 S 2 EStG anwenden will (vgl Beschluss des BFH v 21.12.2006, VI B 20/06, BFH/NV 2007, 716).
- Dabei werden nach allgemeiner Lebenserfahrung dienstliche oder betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins (vgl Beschluss des BFH v 14.05.1999, VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330).
- Etwas anderes gilt, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, das typischerweise zum privaten Gebrauch nicht geeignet ist (vgl BFH v 18.12.2008, VI R 34/07, BStBl II 2009, 381).
- Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, kann das FG aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat (BFH v 04.12.2012, VIII R 42/09, BStBl II 2013, 365).
Nach dem Beweis des ersten Anscheins ist eine private Nutzung eines betrieblichen Pkw zu unterstellen. Dieser Anschein ist widerlegbar (s Rn 1097). In der Regel ist es dafür aber nicht ausreichend, wenn lediglich behauptet wird, dass für privat veranlasste Fahrten private Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Dadurch ist der Anscheinsbeweis in der Regel noch nicht erschüttert (vgl auch BFH v 02.07.2021, V B 34/20, nv im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug für ein betriebliches Kfz).
Dieser kann aber zB dadurch widerlegt werden, wenn für Privatfahrten andere Fahrzeuge gleichen Status und Gebrauchswerts zur Verfügung stehen (BFH v 04.12.2012, VIII R 42/09, DB 2013, 262, auch s Rn 36). Je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen sind, desto leichter ist der Anscheinsbeweis zu erschüttern, weil keine nachvollziehbare Veranlassung für die private Nutzung des betrieblichen Pkw ersichtlich ist.
Nicht ausreichend ist es jedoch, wenn sich der StPfl für die privaten Fahrten auf ein Fahrzeug beruft, das ihm jedoch nicht ständig und uneingeschränkt zur Verfügung steht, so zB wenn auch der Ehegatte des StPfl das vergleichbare und für private Fahrten verfügbare Fahrzeug regelmäßig nutzt. Denn durch die regelmäßige Nutzung durch den Ehegatten wird der StPfl von der Nutzung ausgeschlossen, so dass ihm das für private Fahrten gedachte Fahrzeug nicht uneingeschränkt zur Verfügung steht. Voraussetzung für die Entkräftigung ist jedoch, dass dem StPfl die in Status und Gebrauchswert vergleichbaren Fahrzeuge für private Fahrten tatsächlich zur Verfügung stehen (vgl FG Münster v 21.03.2018, BB 2018, 1062, das im Streitfall eine Erschütterung des Anscheinsbeweises zuließ, NZB beim BFH unter Az IV B 28/18 eingelegt, aber als unbegründet zurückgewiesen).
Das FG Hamburg v 11.12.2019, 2 K 10/19 hat entschieden, dass die Widerlegung des ersten Anscheins einer Privatnutzung betrieblicher Kfz widerlegt sein kann, wenn einem StPfl neben einem als Großraumtaxi genutzten Pkw drei weitere Pkw für die Privatnutzung zur Verfü...