Rn. 11

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Bestehen Ansprüche auf kindergeldähnliche ausländische Leistungen, wird die Anwendung des § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG durch vorrangige über- oder zwischenstaatliche Abkommen ausgeschlossen, ausführlich dazu s Rn 91f. Dies betrifft Ansprüche auf kindergeldähnliche Leistungen, Wendl in H/H/R, § 65 EStG Rz 3 (Juni 2020).

§ 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG, der die Anrechnung von im Ausland gewährten, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen regelt, wird durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt (BVerfG v 08.06.2004, 2 BvL 5/00, BFH/NV 2005, Beil 1, 33 unter A.I.2; EuGH v 20.05.2008, C-352/06, DStRE 2009, 1251 (Bosmann); BFH v 17.04.2008, III R 36/05, BStBl II 2009, 921. Ferner hat der EuGH v 12.06.2012, C 611/10, C 612/10, DStRE 2012, 999 (Hudzinski und Wawrzyniak) in einer Fallkonstellation, in welcher der persönliche Anwendungsbereich der VO Nr 1408/71 eröffnet und Deutschland nach Art 14 Nr 1 Buchst a VO Nr 1408/71 (sogar) der unzuständige Mitgliedstaat war, entschieden, dass § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG aufgrund der Bestimmungen der Art 45ff AEUV betreffend die ArbN-Freizügigkeit nicht zum Ausschluss, sondern nur zu einer Kürzung des deutschen Kindergeldes um die Höhe des Betrags der in dem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung führen darf; vgl auch BFH v 18.07.2013, III R 51/09, BStBl II 2016, 947; BFH v 05.09.2013, XI R 52/10, BFH/NV 2014, 33.

Auf das Vorabentscheidungsersuchen des BFH v 08.05.2014, BStBl II 2015, 329 hat der EuGH ferner mit Urt EuGH v 22.10.2015, C-378/14, DStRE 2015, 1501 (Trapkowski) entschieden, die in Art 60 Abs 1 S 2 VO (EG) Nr 987/2009 vorgesehene Fiktion könne dazu führen, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht einem einzelnen Elternteil zusteht, sondern letztlich der Familie, wobei sich die Familienzugehörigkeit nach nationalem Recht bestimmt, vgl Selder in Brandis/Heuermann, § 65 EStG Rz 32 (Mai 2020). Nach deutschem Recht gehören beide Elternteile stets zur Familie, da die Gewährung von Kindergeld weder davon abhängt, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht, noch davon, ob sie zusammen oder getrennt leben, BFH v 17.17.2017, III R 17/17, BFH/NV 2018, 201.

In Umsetzung des genannten EuGH-Urteils hat der BFH v 04.02.2016, III R 17/13, BStBl II 2016, 612 entschieden, die Fiktion des Art 60 Abs 1 S 2 VO (EG) Nr 987/2009, wonach bei der Anwendung von Art 67 und 68 der VO (EG) Nr 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten – insb was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt – unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaats fallen und dort wohnen, könne dazu führen, dass der Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62ff EStG nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der im EU-Ausland lebende Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat, da bei ihm nach Art 60 Abs 1 S 3 VO (EG) Nr 987/2009 der Antrag des in Deutschland lebenden Elternteils zu berücksichtigen ist, BFH v 13.07.2016, XI R 33/12, BStBl II 2013, 1035. Im Ausland bezogene Familienleistungen sind auf den Kindergeldanspruch anzurechnen, BFH v 11.06.2013, VR 68/11, BStBl II 2010, 945.

 

Rn. 12

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Ist der persönliche Geltungsbereich der VO (EWG) Nr 1408/71 eröffnet und unterliegt der StPfl, der mit seinen Kindern in Deutschland wohnt, wegen einer im EU-Ausland ausgeübten abhängigen Beschäftigung gemäß Art 13ff VO (EWG) Nr 1408/71 nicht den deutschen, sondern den ausländischen Rechtsvorschriften, wird dadurch der gemäß § 62 Abs 1 Nr 1 EStG bestehende Kindergeldanspruch nicht ausgeschlossen. Die Konkurrenz zwischen dem ausländischen und dem deutschen Anspruch wurde bis zum 30.04.2010 durch Art 10 Abs 1 Buchst a VO (EWG) Nr 574/72 aufgelöst; nachfolgend gelten die Antikumulierungsvorschriften der VO (EG) Nr 883/2004.

Nach dem Urt des EuGH v 06.11.2014, C-4/13, HFR 2015, 86 erlaubte es Art 76 Abs 2 VO (EWG) Nr 1408/71 dem Beschäftigungsmitgliedstaat, in seinen Rechtsvorschriften vorzusehen, dass der zuständige Träger den Anspruch auf Familienleistungen ruhen lässt, wenn im Wohnmitgliedstaat kein Antrag auf Gewährung von Familienleistungen gestellt worden ist. Der im Wohnmitgliedstaat des betreffenden Kindes bestehende Kindergeldanspruch durfte nach BFH v 05.02.2015, III R 40/09, BStBl II 2017, 118 deshalb von dem zuständigen Träger in diesem Fall ruhen gelassen werden, ohne dass der Träger insoweit über ein Ermessen verfügt. Es erfolgte in diesem Fall somit eine Kürzung des deutschen Kindergelds, sofern die ausländische Familienleistung von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig war, Selder in Brandis/Heuermann, § 65 EStG, Rz 10 (Mai 2020).

Bejaht die zuständige ausländische Behörde einen Kindergeldanspruch nach i...

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