Rn. 176
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Daneben enthält das Gemeinschaftsrecht Antikumulierungsvorschriften, die in dem Fall eingreifen, dass es trotz der Zuständigkeitsregelungen in den Art 13ff VO (EWG) Nr 1408/71 zu einem Zusammentreffen von Leistungsansprüchen mehreren Personen kommen sollte. Die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften setzt zunächst voraus, dass der persönliche Geltungsbereich der VO (EWG) Nr 1408/71 eröffnet ist, BFH v 18.07.2013, IIIR 71/11, BFH/NV 2014, 24. Nach BFH v 05.07.2012, III R 76/10, BStBl II 2013, 1033 reicht es dazu aus, dass zwar nicht der Antragsteller selbst, wohl aber über den anderen Elternteil das Kind in diesen persönlichen Anwendungsbereich fällt.
Leistungsansprüche mehrerer Personen sind in den Fällen gegeben, in denen für dasselbe Kind mehreren Personen (zB Vater und Mutter) gleichartige Ansprüche deshalb zustehen, weil sie in verschiedenen Mitgliedsstaaten erwerbstätig und/oder ansässig sind, vgl EuGH v 07.06.2005, C-543/03, "Dodl und Oberhollenzer" Slg 2005, I 5049; BFH v 30.01.2014, V R 38/11, BFH/NV 2014, 837. Sofern der Anspruch auf Familienleistungen im Wohnland des Kindes von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig ist, richtet sich die Priorität nach Art 76 VO (EWG) Nr 1408/71. Danach ist vorrangig das Wohnland des Kindes zur Leistung verpflichtet. Dies gilt nach Art 76 Abs 2 VO (EWG) Nr 1408/71 auch dann, wenn kein Antrag auf Familienleistungen gestellt wurde.
Rn. 177
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Ist der Anspruch auf Familienleistungen, wie in Deutschland, jedoch nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit abhängig, bestimmt sich das Konkurrenzverhältnis nach Art 10 VO (EWG) Nr 574/72. Zum Begriff der Familienleistungen hat der EuGH in der Rechtssache Wiering (EuGH v 08.05.2014, C -347/12) im Zusammenhang mit der Anrechnung von deutschem Elterngeld auf die – dem deutschen Kindergeld entsprechenden – luxemburgische Familienzulage entschieden, aus Art 12 VO (EWG) Nr 1408/71 ergebe sich, dass eine ungerechtfertigte Kumulierung nur bei mehreren Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherung vorliege. Leistungen gleicher Art seien gegeben, wenn ihr Sinn und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung übereinstimmten. Ob Familienleistungen die Voraussetzungen des Art 12 VO (EWG) Nr 1408/71 erfüllten, habe das nationale Gericht zu bestimmen. Nach FG Münster v 05.08.2016, 4 K 4533/15 Kg dient der TOG-Zuschuss nach niederländischem Recht – jedenfalls nach der seit dem 01.04.2010 geltenden Rechtslage – der Abdeckung eines Sonderbedarfs für Kinder mit Behinderungen wegen des gesteigerten Pflegebedarfs und ist deshalb keine vergleichbare Familienleistung (Abweichung von BFH v 17.04.2008, III R 36/05, BStBl II 2009, 921).
Nach Art 10 VO (EWG) Nr 574/72 ist grds das Beschäftigungsland vorrangig zur Leistung verpflichtet. Die ausschließliche Rechtszuständigkeit des Beschäftigungsstaats nach der VO (EWG) Nr 1408/71 entfaltet jedoch keine Sperrwirkung für die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats (zB Deutschland); BFH v 16.05.2013, III R 8/11, BStBl II 2013, 1040; BFH v 05.09.2013, XI R 52/10, BFH/NV 2014, 33; BFH v 30.01.2014, V R 38/11, BFH/NV 2014, 837. Der inländische Kindergeldanspruch ist auch nicht dann ausgeschlossen, wenn im an sich zuständigen Mitgliedstaat (hier: Niederlande) der Anspruch auf Familienleistungen zB wegen Überschreitung einer Alters- oder Einkommensgrenze ausgeschlossen ist. Der inländische Kindergeldanspruch ruht allerdings bis zur Höhe der in den Niederlanden für denselben Zeitraum und für dasselbe Kind geschuldeten Familienleistungen, BFH v 30.01.2014, V R 38/11, BFH/NV 2014, 837.
Ist der Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig, ist als Antikumulierungsvorschrift Art 10 VO (EWG) Nr 574/72 anzuwenden. Dafür muss nicht der Kindergeldbegehrende – im Streitfall der Vater – selbst die Voraussetzungen des Anhang I Teil I Buchst D (ab 2007 Buchst E) der VO (EWG) Nr 1408/71 erfüllen; ausreichend ist, wenn die Kindesmutter und das Kind in den persönlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr 1408/71 fallen, BFH v 26.07.2012, III R 97/08, BStBl II 2013, 24. Ist der (grundsätzlich) Kindergeldberechtigte arbeitslos und bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (ALG II), ist nicht die Antikumulierungsregel aus Art 10 Abs 1 Buchst b Ziff i VO (EWG) Nr 574/72, sondern die aus Art 10 Abs 1 Buchst a VO (EWG) Nr 574/72 anzuwenden. Bei den Leistungen nach dem ALG II handelt es sich um besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iSd Art 4 Abs 2a u Art 10a VO Nr 1408/71, nicht jedoch um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit gemäß Art 4 Abs 1 Buchst g VO Nr 1408/71 (vgl Anhang II A Teil D (ab 2007 Buchst E) der VO Nr 1408/71), BFH v 26.07.2012, III R 97/08, BStBl II 2013, 24. Demnach ruht der Kindergeldanspruch des in Deutschland nicht berufstätigen Elternteils für seinen Sohn, der i...