Rn. 284
Stand: EL 172 – ET: 04/2024
Die Änderungsvorschrift des § 173 Abs 1 Nr 1 AO wird nicht durch § 70 Abs 2 und 3 EStG verdrängt, BFH vom 25.07, VI R 18/99, BStBl II 2002, 81; BFH vom 26.07.2001, VI R 163/00, BStBl II 2002, 174.
§ 173 Abs 1 Nr 1 AO setzt das nachträgliche Bekanntwerden neuer Tatsachen oder Beweismittel voraus, vgl V 17.1.2 und V 17.1.3 DA-KG 2023. Dabei ist auf die beim Abschluss der Willensbildung vorhandene Kenntnis des entscheidungsbefugten Amtsträgers, dh der Person, die die Verfügung abschließend zeichnet, abzustellen. Der Inhalt der bei der betreffenden Organisationseinheit geführten Akten wird dabei ohne Rücksicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Sachbearbeiter als bekannt angesehen, vgl FG Bre vom 24.01.2000, 499 120K 1, EFG 2000, 955.
Fehler in der Rechtsanwendung können dagegen nicht nach § 173 Abs 1 S 1 Nr 1 AO zu Lasten des Kindergeldberechtigten korrigiert werden. Dagegen findet § 173 Abs 1 S 1 Nr 1 AO Anwendung, wenn die Familienkasse erst nachträglich davon erfährt, dass das Kind im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung der Kindergeldfestsetzung nicht mehr die tatbestandlichen Berücksichtigungsvoraussetzungen des § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 EStG erfüllt hat oder eine Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt des Berechtigten nicht vorlag. Eine Änderung der Kindergeldfestsetzung erfolgt nach § 173 Abs 1 S 1 Nr 1 AO auch dann, wenn nachträglich bekannt wird, dass für ein als Zählkind berücksichtigtes Kind kein Anspruch auf Kindergeld bestand, vgl FG SchlH vom 17.11.1999, I 1342/98, EFG 2000, 799.
Eine bestandskräftige Kindergeldfestsetzung, durch die die Familienkasse den Antrag auf Kindergeld mit der Begründung abgelehnt hat, die Einkünfte und Bezüge des Kindes überschritten den Jahresgrenzbetrag, kann nicht nach § 173 Abs 1 Nr 2 AO wegen neuer Tatsachen (gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge) geändert werden, da die Familienkasse seinerzeit bei Kenntnis dieser Umstände nicht anders entschieden hätte, BFH vom 19.10.2006, III R 31/06, BFH/NV 2007, 392.
Nach § 173 Abs 1 Nr 2 AO kann eine Neufestsetzung des Kindergelds – für Zeiträume vor der bestandskräftig gewordenen Ablehnung des Kindergeldantrags – erfolgen, wenn dem Berechtigten nachträglich neue Tatsachen bekannt werden, aus denen sich ergibt, dass ein Anspruch auf Kindergeld bestand. Eine Korrektur zu Gunsten des Berechtigten setzt jedoch voraus, dass diesen kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen oder Beweismittel trifft. Ein grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs 1 Nr 2 S 1 AO kann auch darin bestehen, dass es der StPfl unterlässt, gegen einen Steuerbescheid Einspruch einzulegen, obwohl sich ihm die Geltendmachung von – der Familienkasse bislang nicht bekannter – Tatsachen hätte aufdrängen müssen, FG Mchn vom 05.06.2020, 7 K 1943/19.
Eine Änderung nach § 173 Abs 1 Nr 2 AO scheidet jedoch dann aus, wenn die nach der ursprünglichen Verwaltungsentscheidung eingereichten Beweismittel erst nach dieser Verwaltungsentscheidung erstellt worden sind, BFH vom 25.02.2003, VIII R 98/01, DStRE 2003, 949.