Rn. 286
Stand: EL 172 – ET: 04/2024
Als ein rückwirkendes Ereignis iSd § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO ggf iVm § 175 Abs 2 AO war es – für die Jahre 1996–2001 – anzusehen, wenn nach Ablauf des Jahres feststeht, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag des § 32 Abs 4 EStG überschritten haben, vgl BFH vom 26.07.2001, VI R 83/98, BStBl II 2002, 85; BFH vom 26.07.2001, VI R 55/00, BStBl II 2002, 86; BFH vom 16.04.2002, VIII R 96/01, BFH/NV 2002, 1027. Eine Änderung der Kindergeldfestsetzung konnte gemäß § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO bzw § 175 Abs 2 AO deshalb auch dann erfolgen, wenn die Familienkasse nachträglich Kenntnis davon erlangt, dass das Kind bereits vor Beantragung und Bezug der streitigen Kindergeldzahlungen eine Halbwaisenrente bezog. Für das erforderliche rückwirkende Ereignis war maßgeblich auf das Überschreiten der Einkünfte- und Bezügegrenze abzustellen.
In Bezug auf die von der Familienkasse zunächst als vorübergehend (höchstens 2 Monate andauernde) eingestufte Ausweitung der Beschäftigung des Kindes nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums kann es bei der nachfolgenden weiteren Ausweitung der Berufstätigkeit zur Überschreitung der 20-Stunden-Grenze kommen. In diesem Fall ist auch die erste Ausweitung der Erwerbstätigkeit anspruchsschädlich, insoweit liegt ein rückwirkendes Ereignis vor, Beispiel nach V 21.1. S 1 DA-KG 2023.
Es gelten jedoch auch insoweit die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung nach §§ 169ff AO, da das Kindergeld nach § 31 S 3 EStG als Steuervergütung gezahlt wird, BFH vom 09.09.2015, XI R 9/14, BFH/NV 2016, 166.
Ein rückwirkendes Ereignis liegt auch vor, wenn
- die Anspruchsvoraussetzung nach § 62 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst b EStG wegen veränderter Einkommensverhältnisse des Berechtigten entfällt, V 21.1 S 2 DA-KG 2023,
- eine Vaterschaft anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist bzw rechtswirksam angefochten wurde, V 21.1 S 2 DA-KG 2023, vgl FG D'dorf vom 13.08.1998, 8 K 9878/97 E, EFG 1998, 1488,
- die ID-Nr erst nachträglich vergeben wird, V 21.1. S 2 DA-KG 2023,
- bei rückwirkender Aufhebung der in 62 Abs 2 EStG genannten Aufenthaltstitel, vgl zu § 62 Abs 2 aF Tiedchen, DStZ 2000, 237; Felix, FR 2001, 674.
Eine Gerichtsentscheidung stellt nur dann ein rückwirkendes Ereignis dar, wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändert, BFH vom 02.08.1994, VIII R 65/93, BStBl II 1995, 264. Das ist in Bezug auf den Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005, 2 BvR 167/02, BFH/NV 2005 Beil 3, 260 nicht der Fall, da dieser nur zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des unveränderten Sachverhalts der Zahlung von gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen führt, BFH vom 19.10.2006, III R 31/06, BFH/NV 2007, 392.
Rn. 287
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Der ESt-Bescheid stellt hingegen keinen Grundlagenbescheid für das Kindergeld dar, BFH vom 23.11.2001, VI R 125/00; BStBl II 2002, 296; BFH vom 27.02.2006, III B 4/05, BFH/NV 2006, 1055; V 20.1 Abs 2 S 2 DA-KG 2023.
Rn. 288
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Grundlagenbescheide für die Kindergeldfestsetzung sind hingegen nach V 20.1 Abs 2 DA-KG 2023 ua:
- die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl A 4.4 Abs 2 DA-KG 2023) und
- die sozialrechtliche Einordnung als Pflegekind (vgl A 11.3 Abs 6 S 5 DA-KG 2023).
In Fällen des § 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides (§ 171 Abs 10 AO). Für einen Grundlagenbescheid, der für die Kindergeldfestsetzung bindend ist, gilt dies nur, sofern der Grundlagenbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist (vgl V 12.1 DA-KG 2023) bei der zuständigen Behörde beantragt worden ist, V 12.3 Abs 3 S 1 DA-KG 2023.
Rn. 289–299
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vorläufig frei