Rn. 22
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Erforderlich ist nach § 71 Abs 1 Nr 1 EStG die Kenntniserlangung von Tatsachen durch die Familienkasse. Es muss sich dabei um Tatsachen handeln, die der Familienkasse bis dahin nicht bekannt gewesen sind.
Eine geänderte Rechtsauffassung zu solchen Tatsachen, die der Familienkasse im Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung bereits bekannt gewesen sind, reicht hingegen nicht aus, Avvento in Kirchhof/Seer, § 71 EStG Rz 2 (21. Aufl).
Ein weitergehender zeitlicher Zusammenhang zwischen der Kenntniserlangung von diesen neuen Tatsachen durch die Familienkasse und der nachfolgenden vorläufigen Einstellung der Zahlung des Kindergeldes ist hingegen nicht erforderlich.
Der Begriff der Tatsachen iSd § 71 Abs 1 Nr 1 EStG entspricht dem der Verhältnisse, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind iSd § 70 Abs 2 EStG. Es kann sich um Tatsachen handeln, die sich erst nach der Kindergeldfestsetzung geändert haben, aber auch um solche Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung vorhanden waren, die der Familienkasse jedoch erst nachträglich bekannt geworden sind (Fälle des § 173 Abs 1 S 1 Nr 1 AO), Wendl in H/H/R, § 71 EStG Rz 7 (April 2020).
Rn. 23
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Tatsache ist danach alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann, auf dem die Festsetzung des Kindergeldes beruht. Der Begriff der Tatsache umfasst auch solche Hilfstatsachen, die einen sicheren Schluss auf die Haupttatsache zulassen. Ein entsprechender Kenntnisstand ist nicht stets mit dem Zugang der Mitteilung eines Dritten erreicht; Informationen über die maßgeblichen Fakten müssen vielmehr einen Sicherheitsgrad erreichen, der vernünftige, nach den Erfahrungen des Lebens objektiv gerechtfertigte Zweifel schweigen lässt (LSG NRW v 08.11.2005, L 19 B 82/05 AS ER). Hingegen darf die Familienkasse die Kindergeldzahlung nicht bereits dann nach § 71 Abs 1 EStG vorläufig einstellen, wenn die für die Überprüfung der bisherigen Anspruchsvoraussetzungen erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht werden (fehlende Mitwirkung), die Familienkasse aber nicht über konkrete Hinweise auf das Nichtbestehen des Kindergeldanspruchs verfügt, V 23.3 Abs 2 s 1 DA-KG 2021.
Die vorläufige Zahlungseinstellung kommt insbesondere dann in Betracht,
- wenn die bisherigen Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, jedoch noch unklar ist, zu welchem Zeitpunkt die Änderung eingetreten ist, sowie
- ferner dann, wenn die Familienkasse erfährt, dass sich anspruchsrelevante Verhältnisse geändert haben, was rückwirkend zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führt, jedoch noch unklar ist, ob aus anderen Gründen weiterhin ein Kindergeldanspruch besteht (V 23.3. Abs 3 DA-KG 2021).
Ersteres ist zB in den Fällen gegeben, in denen bei getrennt lebenden Eltern feststeht, dass ein Wechsel in der Haushaltaufnahme des Kindes erfolgt ist, aber noch ungeklärt ist, wann dieser erfolgt ist. Letzteres ist zB in den Fällen gegeben, in denen feststeht, dass das Kind, das das 21. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, seine Berufsausbildung abgebrochen hat, jedoch noch nicht feststeht, ob und wann das Kind eine anderer Berufsausbildung angetreten hat oder ob einer der anderen Berücksichtigungstatbestände nach § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst b o Nr 2 Buchst c EStG gegeben ist.
Rn. 24
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Die Tatsachen, von denen die Familienkasse Kenntnis erhält, müssen kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen.
Es muss sich mithin um solche Tatsachen handeln, aufgrund derer die Familienkasse mit hinreichender Sicherheit die Überzeugung gewinnt, dass ein Tatbestandsmerkmal der Norm, auf der die Kindergeldfestsetzung beruht, nachfolgend nicht mehr gegeben ist oder aber bereits im Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung nicht vorgelegen hat. Diese Tatsachen müssen entweder zu einem Ruhen des Kindergeldanspruchs oder zu dessen Wegfall führen.
Das einkommensteuerliche Kindergeld kennt zwar anders als das SGB III (vgl § 159 SGB III) keinen gesetzlichen Ruhenstatbestand, Avvento in Kirchhof/Seer, § 71 EStG Rz 2 (21. Aufl). Ein Ruhen des Kindergeldanspruchs iSd § 71 Abs 1 Nr 1 EStG ist jedoch in den Fällen anzunehmen, in denen vorrangige ausländische Familienleistungen zu berücksichtigen sind und gegebenenfalls nur ein deutsches Differenzkindergeld zu zahlen ist (§ 68 Abs 2 S 2 VO (EG) Nr 883/2004; Wendl in H/H/R, § 71 EStG Rz 7 (April 2020)). Insoweit sind die Antikumulierungsvorschriften der VO (EWG) 1408/71 und der VO 574/12, an deren Stelle die VO 883/2004 und die VO 987/2009 getreten sind, einschlägig.
Rn. 25
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Ein Wegfall des Kindergeldanspruchs ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn kein Kindergeldanspruch mehr besteht. Kommt es zu lediglich zu einer Verringerung des Kindergeldanspruchs, dh nur zu einer Verringerung des Kindergeldanspruchs, ist fraglich, ob dies für die Anwendung des § 71 EStG ausreicht, vgl zu § 331 SGB III, bejahend Schaumberg in Schlegel/...