Rn. 10
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die nicht bloß abstrakt, sondern im Einzelfall konkret festzustellende Unterhaltspflicht des Kindergeldberechtigten korrespondiert mit der anspruchsbegründenden Bedürftigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes (vgl § 1602 BGB; BFH vom 16.04.2002, VIII R 50/01, BStBl II 2002, 575; BFH vom 17.03.2006, III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285). Der Unterhaltsanspruch des Kindes setzt einen ungedeckten Unterhaltsbedarf des Kindes (FG Düsseldorf vom 07.04.2016, 16 K 1697/15 Kg, FamRZ 2016, 1893) und die Leistungsfähigkeit des Kindergeldberechtigten (§ 1603 BGB) voraus. Es sind unterhaltsrechtliche Maßstäbe nach dem BGB und nicht sozialhilferechtliche Maßstäbe nach dem SGB II oder SGB XII anzulegen, FG SAnh vom 29.03.2012, 4 K 916/11, EFG 2012, 1564. Das Kindergeld kann nach FG Düsseldorf EFG vom 31.07.2008, 14 K 272/08 Kg, EFG 2008, 1983; FG SchlH vom 15.09.2016, 4 K 82/16; FG SchlH vom 28.06.2017, 2 K 217/16 zumindest dann an minderjährige Kinder abgezweigt werden, wenn ein Vormund bestellt ist, dem auch die Vermögensfürsorge obliegt. Eine Nichterfüllung der Unterhaltspflicht ist auch dann gegeben, wenn der Jugendhilfeträger die Kosten des notwendigen Unterhalts für das in einer betreuten Wohnform lebende volljährige Kind deshalb übernimmt, weil der Kindergeldberechtigte eine Beteiligung an den Kosten ablehnt, BFH vom 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695.
Die Abzweigung setzt lediglich die objektive Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus, eine schuldhafte Verletzung der Unterhaltspflicht ist nicht erforderlich, BFH vom 23.02.2006, III R 65/04, BStBl II 2008, 753; Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 8 (06/2020); die Nichterfüllung einer individuellen Unterhaltsvereinbarung reicht nicht aus, BFH vom 06.06.2006, III B 202/05, BFH/NV 2006, 1653. Es genügt eine partielle Pflichtverletzung, denn wer Leistungen schuldig bleibt, kommt iSv § 74 Abs 1 S 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht nach, FG Brandenburg vom 13.05.2004, 6 K 1098/03, EFG 2004, 1635. Dabei ist auf den einzelnen Monat abzustellen, FG München vom 12.12.2007, 10 K 4917/06, EFG 2008, 698.
Aber nicht bereits die einmalige oder die unwesentliche, sondern erst die fortdauernde Verletzung der Unterhaltspflicht rechtfertigt eine Abzweigung des Kindergelds, Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 8 (06/2020); V 33.2 Abs 2 S 4 und 5 DA-KG 2023. Die insofern bedeutsame Höhe des Unterhaltsanspruchs ist primär dem rechtskräftigen Unterhaltstitel zu entnehmen. Liegt ein solcher nicht vor, müssen die von den Zivilgerichten entwickelten Orientierungshilfen (zB die Düsseldorfer Tabelle) sowie bei minderjährigen Kindern nach Wahl des Kindes die RegelbeitragsVO nach § 1612a BGB herangezogen werden; Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 7 (06/2020); Selder in Brandis/Heuermann, § 74 EStG Rz 13 (10/2021).
Eine "einvernehmliche" Abzweigung des Kindergeldes sieht § 74 EStG hingegen nicht vor, BFH vom 10.04.2012, III B 131/11, BFH/NV 2012, 1129.
Die Art der Unterhaltsgewährung für ein unverheiratetes Kind können nach § 1612 Abs 2 BGB die Eltern bestimmen. Die Eltern verletzen ihre Unterhaltspflicht nicht, wenn sie ihrem unverheirateten Kind den Unterhalt in Form von Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung anbieten. Gegenüber einem volljährigen auswärts lebenden Kind ist jedoch grundsätzlich Unterhalt durch eine Geldrente zu leisten, sodass eine Auszahlung des Kindergelds an das Kind erfolgen kann, wenn der Unterhaltsverpflichtete Naturalunterhalt anbietet, BFH vom 17.03.2006, III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285; FG Düsseldorf vom 04.07.2005, 14 K 5656/04 Kg, EFG 2005, 1787; FG Münster vom 25.11.2004, 5 K 429/02 Kg, EFG 2005, 792; FG Münster vom 23.10.2007, 8 K 590/06 Kg, EFG 2008, 386.
Gewährt ein Jugendhilfeträger aufgrund von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 41, 34, 39 SGB VIII dem Kind Unterkunft und Unterhalt in einer betreuten Wohnform außerhalb des Elternhauses, liegt eine Nichterfüllung der Unterhaltspflicht auch dann vor, wenn der Kindergeldberechtigte dem Kind ein Zimmer im Elternhaus und Unterhalt innerhalb der Familie angeboten hat, BFH vom 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695. Die gesetzliche Verpflichtung, einen Kostenbeitrag zu den vom Jugendhilfeträger übernommenen Kosten zu leisten, ergibt sich für den Unterhaltsverpflichteten aus § 94 Abs 3 SGB VIII; vgl BFH vom 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695.
Eine Unterhaltspflichtverletzung ist nach FG München vom 14.02.2007, 9 K 202/06, EFG 2007, 1178, nachgehend BFH vom 13.08.2007, III B 51/07, BFH/NV 2007, 2276, auch dann gegeben, wenn der Kindergeldberechtigte vom Träger der Jugendhilfe nach den §§ 90–97b SGB VIII an den Kosten für die Leistungen der Jugendhilfe beteiligt wird, aber diese nicht bezahlt.
Rn. 11
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Nichterfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht ist dann gegeben, wenn der Kindergeldberechtigte keinen (Bar-)Unterhalt leistet. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Kindergeldberechtigte lediglich Zahlungen an einen Dritten aufgrund einer vertraglichen Ver...