a) Tatbestand der doppelten Haushaltsführung
Rn. 660
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach der Legaldefinition in § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 S 2 EStG vor, wenn ein ArbN außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt. § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 S 1 EStG schreibt zudem vor, dass die doppelte Haushaltsführung beruflich veranlasst sein muss.
Erste Voraussetzung der doppelten Haushaltsführung iSd § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG ist somit, dass der StPfl nicht wie gewöhnlich nur einen Haushalt unterhält, sondern zwei: den Haupthausstand an seinem Heimatort (Lebensmittelpunkt) und den zweiten am Ort seiner ersten Tätigkeitsstätte; der Ort des eigenen Hausstands und der Ort der ersten Tätigkeitsstätte müssen dabei auseinanderfallen. Kennzeichnend für die doppelte Haushaltsführung ist also die Aufsplittung der Lebensführung auf zwei Standorte.
Mit dem zweiten Tatbestandsmerkmal wird der Bezug zur beruflichen Sphäre des StPfl hergestellt: Die doppelte Haushaltsführung muss beruflich veranlasst sein. Nur wenn die Begründung der doppelten Haushaltsführung aus beruflichem Anlass erfolgte, sind die Aufwendungen dem Grunde nach WK.
Schließlich werden die Aufwendungen durch ein weiteres Tatbestandsmerkmal auch der Höhe nach zur Privatsphäre abgegrenzt: Nur notwendige Mehraufwendungen können als WK abgezogen werden. Anders gewendet: Gehen die vom StPfl verausgabten Aufwendungen über das hinaus, was als notwendig zu erachten ist, gelten sie als privat veranlasst. § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 S 4–8 EStG regeln dabei explizit die Berücksichtigung von Unterkunftskosten und Familienheimfahrten.
b) Anwendungsbereich
Rn. 661
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG spricht seinem Wortlaut nach von Aufwendungen, die einem "ArbN" entstehen. § 9 Abs 3 EStG stellt klar, dass dieser missverständlichen Formulierung zum Trotz das Rechtsinstitut der doppelten Haushaltsführung bei allen Überschusseinkünften (§ 2 Abs 1 Nr 4–7 EStG) zur Anwendung kommt. Allerdings dürfte die praktische Bedeutung der doppelten Haushaltsführung bei den anderen Überschusseinkunftsarten gering sein. Aus § 4 Abs 5 Nr 6 u 6a EStG ergibt sich, dass auch bei den Gewinneinkünften Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung berücksichtigt werden können.
c) Verhältnis zu § 9 Abs 1 S 1 EStG
Rn. 662
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG ist im Verhältnis zu § 9 Abs 1 S 1 EStG lex specialis. Ein ArbN, der am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt, kann die Aufwendungen für die Wohnung daher nur unter den Voraussetzungen des § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG als WK abziehen. Liegen die Voraussetzungen für eine steuerlich anzuerkennende doppelte Haushaltsführung nicht vor (beispielsweise weil sich auch der Haupthausstand am Ort der ersten Tätigkeitsstätte befindet (s Rn 683, 715), können die Kosten einer Zweitwohnung auch dann nicht nach § 9 Abs 1 S 1 EStG abgezogen werden, wenn die Anmietung beruflich veranlasst ist (BFH v 16.11.2017, VI R 31/16, BStBl II 2018, 404; BFH v 16.01.2018, VI R 2/16, BFH/NV 2018, 712; BFH v 23.10.2019, VI R 1/18, BFH/NV 2020, 354). Denn diese dienen jedenfalls auch dem der steuerlich unbeachtlichen Privatsphäre zuzurechnenden Wohnen (s Rn 663).
d) Verhältnis zu § 12 Nr 1 S 1 EStG
Rn. 663
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung berühren ihrem Gegenstande nach (zB Kosten der Wohnung, Fahrtkosten, Verpflegung) auch die Lebensführung des StPfl und wären als gemischt privat und beruflich veranlasste Aufwendungen (BVerfG v 26.09.1988, 1 BvR 849/88, HFR 1989, 682; BVerfG v 09.12.2008, 2 BvL 1/07 ua, BVerfGE 122, 210; BFH v 13.11.2012, VI R 50/11, BStBl II 2013, 286; Geserich in K/S/M, § 9 EStG Rz G 3; Oertel in Kirchhof/Seer, § 9 EStG Rz 100 (21. Aufl); aA Krüger in Schmidt, § 9 EStG Rz 220; Kreft/Bergkemper in H/H/R, § 9 EStG Rz 490) auch nach Aufgabe der Auslegung des § 12 Nr 1 S 2 EStG als striktes Aufteilungs- und Abzugsverbot durch den Beschluss des GrS des BFH v 21.09.2009, GrS 1/06, BStBl II 2010, 672 mangels objektivierbarer Aufteilungskriterien nicht abzugsfähig (dazu s § 12 Rn 158ff (Wienbergen)). Somit grenzt der Gesetzgeber mit der typisierenden Regelung der doppelten Haushaltsführung in § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG den beruflichen Mehraufwand konstitutiv von den allgemeinen Lebensführungskosten ab.
Das betrifft schon die Entstehung der Aufwendungen dem Grunde nach, da selbst bei ausschließlich beruflich veranlasster Begründung eines Zweithausstands die Aufrechterhaltung des Ersthaushalts auf privaten Motiven beruht. Erst recht gilt dieses für die Höhe der Aufwendungen, da die Auswahl der Wohnung am Beschäftigungsort, die Anzahl der Familienheimfahrten usw durch die persönliche Interessenlage des StPfl beeinflusst wird.
Wenn nach dem Wortlaut des § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung "auch" WK sind, müssen diese Aufwendungen abweichend von der Grundnorm des § 12 Nr 1 EStG der beruflichen Sphäre zugewiesen werden. § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG ist daher lex specialis zu § 12 Nr 1 EStG und hat konstitutiven Charakter (ebenso Geserich