Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Verletzung der Aufzeichnungspflicht seitens des Arbeitgebers. Zulässigkeit eines Summenbescheides. unverhältnismäßiger Aufwand iSv § 28f Abs 2 S 2 SGB 4. Schätzungsbefugnis
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn der Arbeitgeber Aufzeichnungspflichten verletzt hat und im Verwaltungsverfahren keine für die Feststellungen zu Versicherungspflicht und Beitragshöhe erforderlichen konkreten Angaben macht, stellt es für den Träger der Rentenversicherung keinen unverhältnismäßigen Aufwand iSv § 28f Abs 2 Satz 2 SGB IV dar, Beschäftigte des Arbeitsgebers einmalig zu befragen, deren Name und Beschäftigungszeiträume, teilweise auch deren Anschriften ihm aufgrund eigener Daten bekannt waren oder durch eine Einsicht in die Ermittlungsakten, gegebenenfalls ergänzt durch einfache Nachfragen bei darin genannten weiteren Behörden, hätten in Erfahrung gebracht werden können.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 2021 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 18. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2021 wird angeordnet, soweit Beiträge zur Sozialversicherung sowie Säumniszuschläge für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017 nachgefordert werden. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden hinsichtlich beider Rechtszüge von der Antragsgegnerin zu zwei Dritteln und von der Antragstellerin zu einem Drittel getragen.
Der Streitwert wird auf 69.512,94 EUR festgesetzt.
Gründe
Die am 4. Juni 2021 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai 2021 ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht das Begehren der Antragstellerin vollständig abgelehnt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Februar 2021 anzuordnen, mit welchem gegen die Antragstellerin als Betreiberin der Cafés „K“ und „L“ Nachforderungen zur Sozialversicherung für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Dezember 2017 in einer Gesamthöhe von 139.025,88 EUR festgesetzt wurden, wovon 94.141,38 EUR auf Beitragsforderungen und 44.884,50 EUR auf Säumniszuschläge entfallen. Nach Erlass des zurückweisenden Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2021 und anschließender Klageerhebung möchte die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren erreichen, dass der Senat den angefochtenen Beschluss aufhebt und die aufschiebende Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 18. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2021 anordnet.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Denn Widerspruch und Anfechtungsklage haben gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, wenn - wie im vorliegenden Fall - Beiträge einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten nachgefordert werden.
Der Antrag ist auch begründet, soweit Beiträge zur Sozialversicherung sowie Säumniszuschläge für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017 nachgefordert werden. Insoweit überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin.
Aus dem bereits vom Gesetzgeber grundsätzlich geregelten Vorrang des Vollziehungsinteresses folgt zugleich, dass regelmäßig nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Interesse an der aufschiebenden Wirkung begründen können, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs als zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Insoweit müssen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen, um entgegen dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des Gesetzgebers das Aussetzungsinteresse höher zu gewichten. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten geringer, je schwerer die angefochtene Entscheidung wirkt. Insofern ist neben den wirtschaftlichen Verhältnissen in die Abwägungsentscheidung auch einzustellen, ob die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Januar 2021, L 28 BA 68/20 B ER, Rn. 2; hier und nachfolgend alles zitiert nach JURIS).
Nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Beiträge und Säumniszuschläge für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017. Bezüglich der Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 ist der angefochtene Bescheid jedoch rechtmäßig.
Er wurde in Übereinstimmung mit § 24 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) nach vorheriger schriftlicher Anhörung erlassen. Hierbei wurde der Antragstellerin nochmals di...