Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlung des Hilfebedarfs in der Pflegeversicherung für die Begleitung bei Arztbesuchen. Pflegestufe II. Zeitaufwand. Grundpflege. Hauswirtschaftliche Versorgung. Arztbesuch. Wartezeit. Rehaklinik. Taxifahrt

 

Orientierungssatz

1. Es ist nicht Ziel der sozialen Pflegeversicherung, jedweden Pflegebedarf lückenlos zu erfassen und bei der Leistungsbemessung zu berücksichtigen. Eine gesteigerte Fürsorge ist von der Pflegeversicherung nicht zu finanzieren.

2. Der für die Begleitung eines Pflegebedürftigen außerhalb seiner Wohnung erforderliche Zeitaufwand kann nur dann berücksichtigt werden, wenn die außerhalb der Wohnung zu erledigende Verrichtung für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unerlässlich ist. Kann eine Therapie ortsnah durchgeführt werden, so ist nur der dafür erforderliche Zeitaufwand zu berücksichtigen.

3. Der Zeitaufwand für regelmäßig stattfindende Arztbesuche in deren Praxis ist insoweit berücksichtigungsfähig, als eine Begleitung im Hinblick auf verordnete oder zu überwachende Maßnahmen erforderlich ist.

 

Normenkette

SGB XI § 14 Abs. 4, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 06.06.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Klägerin Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II statt nach der Stufe I hat.

Die 1982 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten seit Jahren Leistungen nach Pflegestufe I. Sie leidet im Wesentlichen an einer Bewegungseinschränkung bei Rezidiv einer Histiozytose X, bösartigen Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes, Osteoporose mit Kyphoskoliose nach Wirbelkörperkompression, Zustand nach Patellaluxation rechts sowie einer geistigen Retardierung (wohl in Folge einer Bestrahlung des Gehirns aufgrund eines durch die Histiozytose bedingten Tumors). Nach dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen G, B, aG, H und RF festgestellt worden.

Am 29.11.2002 beantragte die Klägerin, ihr Leistungen nach einer höheren Pflegestufe zu gewähren. In dem daraufhin veranlassten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) vom 05.03.2003 nahm die Pflegefachkraft U einen täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 92 Minuten (Körperpflege 61 Minuten, Ernährung 8 Minuten, Mobilität 23 Minuten) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten an.

Gestützt auf das Ergebnis dieser Begutachtung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.05.2003 die Höherstufung in Pflegestufe II ab.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte die Klägerin für die Bereiche Körperpflege und Ernährung einen Hilfebedarf von 176 Minuten geltend. Darüber hinaus bestünde 5 x pro Woche ein Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (4 x Krankengymnastik / Arztbesuch). Die Beklagte holte eine weitere gutachterliche Stellungnahme durch den MDK ein. In dem Kurzgutachten vom 21.08.2003 bestätigte die Pflegefachkraft H die Feststellungen der Sachverständigen U.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2003 (zugestellt am 12.11.2003) zurück.

Die Klägerin hat am 12.12.2003 beim Sozialgericht (SG) Duisburg Klage erhoben, mit der sie weiterhin Leistungen nach der Pflegestufe II begehrt. Mit dem Ergebnis der vom Gericht durchgeführten Beweisaufnahme sei sie nicht einverstanden, weil die gehörten Sachverständigen den Hilfebedarf insgesamt nicht zutreffend erfasst hätten.

Das SG hat über den Umfang des Hilfebedarfs Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von L L, N, (Gutachten vom 24.08.2004). Der Sachverständige hat den täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege auf 53 Minuten (Körperpflege 15 Minuten, Ernährung 3 Minuten, Mobilität 35 Minuten) sowie auf 45 Minuten für den Bereich Hauswirtschaft geschätzt. Zu den ärztlich verordneten, in der ambulanten Rehaklinik P GmbH in I durchgeführten Therapien könne die Klägerin auch allein mit dem Taxi fahren. Die Begleitung durch die Pflegemutter sei zwar menschlich begrüßenswert; nach dem geistigen und körperlichen Zustandsbild der Klägerin aber nicht erforderlich. Demgegenüber sei die Begleitung bei Arztbesuchen notwendig. Angesichts der umfangreichen ärztlichen Betreuung könne zumindest einmal in der Woche ein Arztbesuch angenommen werden. Bei einem Zeitansatz von 70 Minuten für die Begleitung betrage der durchschnittliche Hilfebedarf insoweit täglich 10 Minuten.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein weiteres Gutachten von Dr. M, C, (Gutachten vom 15.10.2004), sowie nach § 106 SGG eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 07.03.2005 nach neuerlicher Untersuchung eingeholt worden. Dr. M hat einen täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 64 Minuten (Körperpflege 41 Minuten, Ernährung 2 Minuten, Mobilität 21 Minuten) sowie von 45 Minuten fü...

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