Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Kindergeld. Weiterleitung an das nicht im Haushalt des Leistungsberechtigten lebende Kind
Leitsatz (amtlich)
Eine Weiterleitung des Kindergeldes an das nicht im Haushalt des Leistungsempfängers lebende Kind iS von § 1 Abs 1 Nr 8 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) ist auch dann gegeben, wenn der Leistungsberechtigte - im Einvernehmen mit dem Kind - mit dem auf seinem Konto eingegangenen Kindergeld regelmäßig die (das Kindergeld übersteigende) Miete für die eigene Wohnung des Kindes zahlt. Dies gilt auch für sonstige Direktzahlungen des Leistungsberechtigten auf Verbindlichkeiten des Kindes, die dessen soziokultureller Existenzsicherung (einschließlich des Ausbildungsbedarfs) dienen, wie beispielsweise für Stromkosten oder Studiengebühren.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 10. Dezember 2014 und der Bescheid des Beklagten vom 11. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2012 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 20. April 2012 für den Zeitraum vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 924,00 EUR zu zahlen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Höhe der der Klägerin im Zeitraum von Mai bis Oktober 2012 zu bewilligenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die ... geborene Klägerin stand bei dem Beklagten seit Juni 2011 im SGB II-Leistungsbezug. Sie bewohnte zunächst gemeinsam mit ihrer ... geborenen Tochter N. eine Wohnung im Erdgeschoss eines im Eigentum der Eltern der Klägerin stehenden Zweifamilienhauses in L ... Hierzu existiert ein schriftlicher "Mietvertrag 2011" zwischen der Klägerin und ihrem Vater, wonach die Klägerin ab 1. Januar 2011 eine monatliche Gesamtmiete in Höhe von 286,00 EUR zu zahlen habe (Grundmiete: 156,00 EUR; Betriebskosten: 130,00 EUR). Mit Wirkung vom 1. September 2011 erhöhte sich die Betriebskostenvorauszahlung auf monatlich 140,00 EUR, wovon 94,08 EUR auf Heizkosten entfielen. Die Warmwasserbereitung erfolgte durch eine Gastherme. Mit dem Gasversorger hatte die Klägerin einen gesonderten Vertrag abgeschlossen.
Im Bewilligungsbescheid vom 13. Oktober 2011 (Bewilligungszeitraum Juni bis Oktober 2011) teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Heizkosten unangemessen und deshalb nur für einen befristeten Zeitraum als Bedarf anzuerkennen seien. Die Klägerin wurde aufgefordert, die derzeitigen Kosten der Unterkunft spätestens bis 30. April 2012 auf ein angemessenes Maß zu senken. Andernfalls müsse die Klägerin den Differenzbetrag zwischen tatsächlichen und angemessenen Kosten der Unterkunft selbst tragen. Angemessen seien Heizkosten nach dem bundesweiten Heizspiegel für einen Zweipersonenhaushalt mit angemessener Wohnfläche von 60 m².
Die Tochter N., die seit 2008 an der Fachhochschule A. in B. studierte, meldete sich zum 24. November 2011 mit ihrem Hauptwohnsitz nach B. um. Sie hatte dort bereits 2008 eine Mietwohnung bezogen und seitdem die Klägerin jeweils am Wochenende in L. besucht. Auf das Konto der Klägerin wurden monatlich 184,00 EUR Kindergeld für die Tochter überwiesen.
Mit Bescheid vom 20. April 2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Oktober 2012 Leistungen in Höhe von monatlich 482,43 EUR, wovon 228,60 EUR auf den Regelbedarf (einschließlich eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe von 8,60 EUR) und 253,83 EUR auf die Kosten für Unterkunft und Heizung entfielen. Als Einkommen der Klägerin berücksichtigte der Beklagte das - um eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR "bereinigte" - Kindergeld für ihre Tochter. Der Bescheid enthielt einen Hinweis auf die Kostensenkungsaufforderung vom 13. Oktober 2011. Auf dieser Grundlage erhalte die Klägerin ab Mai 2012 nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung; demgemäß wurden Heizkosten lediglich in Höhe von 70,83 EUR berücksichtigt.
Am 3. September 2012 beantragte die Klägerin eine Überprüfung "aller ab 01.01.2011 erlassenen Bescheide" nach § 44 des Zehntes Buchs Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Auf Nachfrage des Beklagten konkretisierte die Klägerin am 19. September 2012 ihr Begehren dahingehend, dass sie sich gegen die Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen wende. Das Kindergeld sei für ihre Tochter bestimmt; sie müsse deren sämtliche Ausgaben (wie Miete, Versicherungen und Studiengebühren) zahlen, da ihre Tochter keine anderen Zuwendungen erhalte.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2012 lehnte der Beklagte den Antrag auf Überprüfung des "Bescheides vom 20.04.2012" ab: Das Kindergeld werde dem Kindergeldber...