Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Die mangelnde Kenntnis von dem auf dem Umschlag handschriftlich eingetragenen Datum der Zustellung (vgl. § 180 Satz 3 ZPO) kann jedenfalls dann unverschuldet sein, wenn auf dem zuzustellenden Schriftstück ein Hinweis auf die förmliche Zustellung fehlt und es sich um eine Naturalpartei handelt, die nicht erkannt hat, dass eine förmliche Zustellung vorliegt.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, ZPO § 180 Satz 3
Sachverhalt
Der Kläger hatte sich auf das Datum der Einspruchsentscheidung (plus drei Tage) verlassen und dadurch die Klagefrist versäumt. Die Ersatzzustellung war schon vor Ablauf von drei Tagen seit dem Datum der Einspruchsentscheidung geschehen. Den handschriftlichen Vermerk des Zustelldatums auf dem Umschlag hatte er übersehen.
Das FG versagt ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und wies die Klage als unzulässig ab (FG München, Urteil vom 25.10.2011, 12 K 206/11).
Entscheidung
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Weise das FG die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig ab, anstatt zur Sache zu entscheiden, liege ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor. Das gelte insbesondere, wenn das Gericht deshalb nicht zur Sache entscheide, weil es zu Unrecht davon ausgehe, dass die Klagefrist versäumt sei.
Das FG habe ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Klägers angenommen. Er hätte dem zugestellten Umschlag entnehmen müssen, dass die Einspruchsentscheidung förmlich zugestellt worden war. Er sei deshalb vorwerfbar zu Unrecht von einer Bekanntgabe durch die Post ausgegangen.
Das FG habe dabei nicht berücksichtigt, dass die mangelnde Kenntnis von dem auf dem Umschlag handschriftlich eingetragenen Datum der Zustellung jedenfalls dann unverschuldet sein könne, wenn auf dem zuzustellenden Schriftstück ein Hinweis auf die förmliche Zustellung – wie im Streitfall – fehle und es sich um eine Naturalpartei handele, die nicht erkannt habe, dass eine förmliche Zustellung vorliege. Danach sei dem Kläger nicht vorzuwerfen, dass er den Umschlag nicht gesondert zur Kenntnis genommen und deshalb verkannt habe, dass es sich bei der Übersendung um eine förmliche Zustellung gehandelt habe.
Nach allem habe der Kläger bei der Berechnung der Klagefrist ohne Verschulden von dem Datum des Bescheids ausgehen und eine übliche Bekanntgabe per Post zugrunde legen dürfen. Danach habe er die Klagefrist ohne eigenes Verschulden versäumt, weshalb ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.
Hinweis
Die Bekanntgabe oder Zustellung eines amtlichen Schriftstücks, die eine Rechtsmittelfrist in Gang setzt, birgt immer wieder Tücken für die Steuerpflichtigen und ihre Berater. Die Stolperfallen sind je nach Art der Bekanntgabe unterschiedlich:
1. Bei Bekanntgabe durch einfachen Brief kommt es nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auf das Datum der Aufgabe zur Post an. Dieses stimmt normalerweise mit dem auf dem Verwaltungsakt aufgedruckten Datum überein. Am dritten Tag nach diesem Datum gilt der Verwaltungsakt als bekannt gegeben, zugleich beginnt die Rechtsmittelfrist zu laufen.
Das auf dem Verwaltungsakt aufgedruckte Datum stimmt allerdings tatsächlich keineswegs immer zwingend mit dem Datum der Aufgabe zur Post überein, insbesondere nicht bei besonders großen Finanzämtern, deren Ausgangspost badewannenweise im Haus umhertransportiert wird, sodass niemand noch wirklich den Überblick haben kann.
Wenn die Rechtsmittelfrist möglicherweise versäumt worden ist, kann es daher hilfreich sein, die Identität des Bescheiddatums mit dem Datum der Aufgabe zur Post zu bestreiten. Denn dann bleibt der Beginn der Rechtsmittelfrist zweifelhaft.
2. Wird der Verwaltungsakt förmlich zugestellt, so verweist § 3 VwZG auf die Vorschriften der §§ 177 bis 182 ZPO. Unter den zahlreichen dabei zu beachtenden Förmlichkeiten ist hier die Regelung des § 180 Satz 3 ZPO von Interesse. Danach hat der Zusteller bei der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten auf dem Umschlag handschriftlich das Datum der Zustellung zu vermerken. Dieser Vermerk hat eine Warnfunktion für den Zustellungsempfänger: Dieser soll, wenn er den Umschlag zur Hand nimmt, gleichsam automatisch auf das Zustelldatum und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen hingewiesen werden.
3. Verwirrung kann entstehen, wenn der Verwaltungsakt noch vor Ablauf des Zeitraums von drei Tagen nach der Aufgabe zur Post (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO)förmlich durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt wird. Was passiert, wenn der Zustellungsempfänger das auf dem Umschlag vermerkte Zustelldatum nicht zur Kenntnis nimmt, sondern sich auf das Bescheiddatum (plus drei Tage) verlässt und dadurch die Rechtsmittelfrist versäumt?
a) |
Der III. Senat des BFH hat entschieden, dass die mangelnde Kenntnis von dem auf dem Umschlag handschriftlich eingetragenen Datum der Zustellung selbst dann unverschuldet sein kann, wenn das zuzustellende Schriftstück den Stempelaufdruck "Zugestellt durch Postzustellungsurkunde" enthält und... |