Leitsatz
1. Die Mitgliedstaaten müssen eine ausdrückliche Regelung vorsehen, um sich auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-RL vorgesehene Befugnis berufen zu können, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der 6. EG-RL von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.
2. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, nicht nur dann als Steuerpflichtige gelten, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige aufgrund des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 oder 4 zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten ihrer privaten Wettbewerber führen würde, sondern auch dann, wenn sie derartige Verzerrungen zu ihren eigenen Lasten zur Folge hätte.
Normenkette
Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 und 4 der 6. EG-RL (§ 2 Abs. 3 UStG, § 4 KStG, § 14 AO)
Sachverhalt
Salix schloss einen "Immobilien-Leasingvertrag" mit der IHK, einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, und vermietete langfristig das Gebäude an die IHK, die einen Teil der Büroräume und Kfz-Stellplätze für eigene Zwecke nutzte und den Rest an umsatzsteuerpflichtige Dritte langfristig weitervermietete. Sie optierte für die Steuerpflicht und machte vergeblich den Vorsteuerabzug aus der Herstellung entsprechend der langfristigen Vermietung durch die IHK geltend. Das FA meinte, die IHK sei nicht unternehmerisch tätig.
Entscheidung
Die Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Der BFH hat jetzt über deren Umsetzung im konkreten Fall zu entscheiden. Dabei wird noch zu berücksichtigen sein, ob die langfristige Vermietung der Stellplätze mit der Vermietung der Büroräume eine einheitliche Leistung darstellt.
Hinweis
1. Nach Gemeinschaftsrecht unterliegen Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben, nicht der Mehrwertsteuer. Darüber hinaus erlaubt Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. RL den Mitgliedstaaten, bestimmte unternehmerische Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 der 6. EG-RL von der Steuer befreit sind – wie die langfristige Vermietung von Gebäuden –, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Wenn die Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde, gelten sie gleichwohl in jedem Fall als Steuerpflichtige (Wettbewerbsvorbehalt).
Nach h.M. zum KSt-Recht fällt die langfristige Vermietung unbeweglichen Vermögens als (bloße) "Vermögensverwaltung" nicht unter § 4 Abs. 1 KStG, auf den § 2 Abs. 3 UStG zur Konkretisierung Umsatzsteuerbarkeit der Tätigkeiten der juristischen Personen des öffentlichen Rechts (JPöR) verweist. Fraglich war, ob das eine ausreichend bestimmte Ausnahmeregelung i.S.d. Art 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-RL war. Dies und die Frage, ob der Wettbewerbsvorbehalt nur zulasten, aber nicht zugunsten der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen gilt, hatte der BFH dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Der EuGH stellt klar, dass der Wettbewerbsvorbehalt sowohl zugunsten wie zulasten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts gilt und sich deshalb auch eine öffentlich-rechtliche Einrichtung auf den Wettbewerbsvorbehalt berufen kann, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige sich zu ihren Lasten auswirkt.
3. Zur Frage, welche Anforderungen an eine – nach Gemeinschaftsrecht zulässige – Abweichung von der RL zu stellen sind, hat der EuGH konkretisiert: Eine – vom Gemeinschaftsrecht zugelassene – Abweichung von der RL muss wegen des Gebots der Rechtssicherheit eindeutig und ausdrücklich vom Mitgliedstaat bestimmt sein. Eine bloße Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, reicht nicht aus. Die Mitgliedstaaten können aber die Rechtsetzungstechnik wählen, die ihnen am geeignetsten erscheint. So können sie sich z.B. darauf beschränken, die im Gemeinschaftsrecht enthaltene Formulierung oder einen gleichwertigen Ausdruck in das nationale Recht zu übernehmen. Sie können z.B. die Tätigkeiten in einem Verzeichnis benennen. Sie können auch eine ausführende Behörde zu einer entsprechenden Regelung ermächtigen, wenn deren Entscheidungen verbindlich sind, die hinreichend konkret, bestimmt und klar sind und von den nationalen Gerichten überprüft werden können. Ist das nicht der Fall, fehlt es an einer zu beachtenden vom Gemeinschaftsrecht abweichenden Regelung.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 04.06.2009 – C-102/08 – SALIX-Grundstücks-Vermietungs- GmbH & Co KG –