BMF, Schreiben v. 9.1.2017, IV B 6 - S 1315/16/10016 :002, BStBl I 2017, 89
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder gelten in Ergänzung des Merkblatts zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen (BMF-Schreiben vom 23.11.2015 – IV B 6 – S 1320/07/10004:007 –, BStBl 2015 I S. 928) für die Durchführung koordinierter steuerlicher Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete die folgenden Grundsätze.
1. Allgemeines
Bei der Durchführung des Informationsaustausches haben die Finanzbehörden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den gesetzmäßigen Schutz des Steuerpflichtigen (einschließlich der Wahrung des Steuergeheimnisses) sowie die Gegenseitigkeit und die Ausgewogenheit des Informationsaustausches zu wahren (§ 117 Absatz 3 Abgabenordnung [AO]).
Bei Maßnahmen, die auf dem EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG) basieren, ist Gegenseitigkeit als gegeben zu unterstellen, unabhängig davon wie die EU-Amtshilferichtlinie (Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG) im jeweiligen Staat umgesetzt wurde. Im Rahmen des im Einzelfall auszuübenden Ermessens kann eine unterschiedliche Umsetzung der Richtlinie allerdings Berücksichtigung finden (vergleiche § 4 Absatz 4 EUAHiG).
Im Rahmen der zwischenstaatlichen Amtshilfe können neben dem Informationsaustausch auf Ersuchen, dem spontanen und automatischen Informationsaustausch auch koordinierte bi- und multilaterale steuerliche Außenprüfungen durchgeführt werden. Hierzu zählen gleichzeitige Prüfungen (Simultanprüfungen) sowie gemeinsame steuerliche Außenprüfungen (international als „Joint Audits” bezeichnet), die eine besondere Form koordinierter Außenprüfungen darstellen.
Die Entsendung eines Bediensteten der deutschen Steuerverwaltung in das Ausland zum Zwecke der Beantwortung eines Auskunftsersuchens ist nicht an bestimmte Ermittlungsverfahren der ausländischen Finanzbehörde (zum Beispiel Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung) gebunden. Auch außerhalb koordinierter Außenprüfungen können bevollmächtigte inländische Bedienstete in andere EU-Mitgliedstaaten entsandt werden, sofern die Komplexität eines Auskunftsersuchens dies erfordert (§ 11 EUAHiG). Bedienstete dürfen, sofern sie bevollmächtigt wurden (§§ 4, 10, 11 EUAHiG), auch Besprechungen im Ausland mit Steuerpflichtigen, mit deren steuerlichen Vertretern oder mit den für den Prüfungsfall zuständigen ausländischen Bediensteten durchführen, um den grenzüberschreitenden Sachverhalt aufzuklären. Solche Maßnahmen sind nach den für koordinierte Außenprüfungen geltenden Regelungen vorzuschlagen, einzuleiten und durchzuführen (siehe auch Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen, Tz. 4.2.3).
Im Hinblick auf die Ermittlungsmöglichkeiten im Verhältnis zu Drittstaaten, auch unabhängig von der Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung, wird auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen (Tz. 4.2.3) und das BMF-Schreiben vom 10.11.2015 – IV B 6 – S 1301/11/10002 – (BStBl 2016 I S. 138) verwiesen. Zudem sind Artikel 8 und 9 des Übereinkommens vom 25.1.1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen in der Fassung des Protokolls zur Änderung des Übereinkommens vom 27.5.2010 (nachfolgend kurz: Amtshilfeübereinkommen, BGBl 2015 II, 966) zu beachten.
1.1 Ziele koordinierter Außenprüfungen
Das wesentliche Ziel koordinierter Außenprüfungen (Oberbegriff), das sind sowohl die gleichzeitige steuerliche Außenprüfung (Simultanprüfungen) als auch die gemeinsame steuerliche Außenprüfung, besteht darin, während der Außenprüfungen unter Beteiligung ausländischer Bediensteter zu einer einvernehmlichen Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu gelangen. Kann der Sachverhalt einvernehmlich festgestellt werden, so ziehen die beteiligten Steuerverwaltungen unabhängig voneinander jeweils ihre nationalen rechtlichen Schlussfolgerungen.
Die einvernehmliche Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes kann zugleich dazu beitragen, internationale Besteuerungskonflikte (aber auch unbesteuerte Einkünfte, so genannte „weiße Einkünfte”) und etwaig resultierende Verständigungsverfahren zu vermeiden beziehungsweise zu vereinfachen und zeitlich zu verkürzen. Zudem kann die einvernehmliche Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts die Basis für die Beantragung eines Advance Pricing Agreements (APA) seitens des Steuerpflichtigen darstellen.
Wird durch gemeinsame steuerliche Außenprüfungen, insbesondere in Verrechnungspreisfragen und Fragen der Betriebsstättengewinnaufteilung nicht nur eine einvernehmliche Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts angestrebt, sondern ist das Ziel eine rechtlich verbindliche Verständigung über die ertragsteuerliche Beurteilung des einvernehmlich festgest...