Leitsatz
Der Grundsatz, dass Entschädigungen, die aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, einheitlich zu beurteilen sind, entbindet nicht von der Prüfung, ob die Entschädigung "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gewährt worden ist.
Normenkette
§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2, § 22 Nr. 3, § 133, § 157 BGB, § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der Kläger wehrte sich gegen die Kündigung seines Anstellungsvertrags und erwirkte im Klageverfahren eine einvernehmliche Regelung. Darin verpflichtete sich der Arbeitgeber, ihm eine Abfindung (§ 3 des Vertrags) und daneben einen Nachteilsausgleich (§ 4 des Vertrags) zu zahlen. FA und FG gingen von einer einheitlichen Entschädigung aus.
Entscheidung
Der BFH hat die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass die Abfindung im Streitfall der Höhe nach – gemessen an der Beschäftigungsdauer und dem letzten vom Kläger bezogenen Gehalt – dem "üblichen Tarif" entsprach. Das spricht indiziell dagegen, den noch deutlich höheren Nachteilsausgleich ebenfalls als Entschädigung für entgehende Einnahmen anzusehen. Das FG (FG München, Urteil vom 23.2.2016, 5 K 2578/13, Haufe-Index 10000610) muss der Sache im 2. Rechtsgang folglich noch tiefer auf den Grund gehen.
Hinweis
Die Bedeutung des Besprechungsfalls ist aufgrund der sehr weit gehenden Anonymisierung, die (zu Recht) schon das FG-Urteil vorgegeben hat, schwierig zu erläutern:
1. Die Rechtsprechung geht im Grundsatz von einer einheitlichen Entschädigung bereits dann aus, wenn in einem Vertrag mehrere Zahlungen vorgesehen sind. Diese Annahme erleichtert zweifellos die Rechtsanwendung; sie steht aber gewissermaßen auf tönernen Füßen:
a) Allein aus dem Umstand, dass in einer Vertragsurkunde mehrere Zahlungen vereinbart sind, kann nicht geschlossen werden, dass die Zahlungen denselben Zweck haben, dass also nur ein Anspruch zugrunde liegt. Es kann sein, dass es sich um Teilzahlungen auf einen Anspruch handelt; es können aber genauso gut auch unterschiedliche Ansprüche geregelt sein. Ohne einen Blick in den Vertrag kann die Frage keinesfalls beantwortet werden.
b) Auf den Inhalt des Vertrags kommt es an. Im Zweifel muss der Vertrag nach den allgemeinen Regeln ausgelegt werden. Es gibt keine Auslegungsregel, wonach in einer Aufhebungsvereinbarung, in der auch Entschädigungsansprüche geregelt sind, sämtliche Zahlungen solche sein müssen, die entgangene oder entgehende Einnahmen ersetzen sollen. Das mag in vielen Fällen zutreffen; eine allgemeine Lebenserfahrung besteht insoweit jedoch nicht.
2. All das hat das FG im Streitfall auch nicht behauptet. Es ist aber aufgrund seiner Auslegung des Vertrags und mit einer gewissen Tendenz im Ergebnis zur Annahme einer einheitlichen Entschädigung gelangt. Der BFH hat diese Feststellung im Streitfall aus tatsächlichen Gründen (keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen) aufgehoben. Und worin liegt nun die grundsätzliche Bedeutung?
3. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung wird vom BFH nicht aufgegeben, sondern allenfalls modifiziert. Es handelt sich weniger um eine Neuausrichtung; eher um eine Akzentverschiebung. Aber auch die können wichtig sein: In Zukunft muss für jede einzeln vereinbarte Zahlung auch einzeln geprüft werden, ob sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Eine Erleichterung aufgrund äußerer Zusammenfassung in einer Urkunde oder aufgrund eines Erfahrungssatzes gibt es nicht.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.7.2017 – IX R 28/16