Leitsatz
Wird nach der Bewilligung von PKH Wiedereinsetzung hinsichtlich der Revisionseinlegungsfrist gewährt, so kann wegen der aufgrund unterschiedlicher höchstrichterlicher Rechtsprechung bestehenden rechtlichen Unsicherheit über den Beginn der Revisionsbegründungsfrist auch Wiedereinsetzung hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren sein.
Normenkette
§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F. , § 120 Abs. 1 FGO a.F. , § 56 FGO , § 90 FGO , § 119 Nr. 4 FGO , § 155 FGO , § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO
Sachverhalt
Das FG entschied ohne mündliche Verhandlung und wies die Klage ab; die Revision ließ es nicht zu. Das Urteil wurde am 8.7.1999 zugestellt. Der BFH bewilligte dem Kläger für eine noch einzulegende Revision PKH, weil eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass das FG zu Unrecht ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Der PKH- Beschluss wurde am 28.8.2000 zugestellt.
Am 11.9.2000 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Revision ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Am 4.10.2000 beantragte er die Frist zur Begründung der Revision zu verlängern. Innerhalb der verlängerten Frist ging die Revisionsbegründung beim BFH ein. Der Kläger wollte neben der Aufhebung des FG- Urteils die Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des FG erreichen.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Die Revision sei als zulassungsfreie Revision statthaft, weil schlüssig dargelegt worden sei, dass der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war. Die Revision sei zulässig, weil sowohl hinsichtlich der versäumten Frist zur Einlegung der Revision als auch hinsichtlich der versäumten Frist zur Begründung der Revision die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müsse.
Die Revision sei auch begründet, da der Kläger vor dem FG nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war. Die Erklärung über den Verzicht auf mündliche Verhandlung sei nicht eindeutig und damit auslegungsbedürftig. Das FG habe es aber unterlassen, den wirklichen Willen zu erforschen.
Die Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat komme nicht in Betracht, da ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des zuständigen Senats des FG nicht erkennbar seien.
Hinweis
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist dem Beteiligten an einem finanzgerichtlichen Verfahren, der wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, eine Revision rechtzeitig durch einen beim BFH vertretungsberechtigten Prozessbevollmächtigten einlegen zu lassen, die Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Revision zu gewähren. Denn bis zur Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) an den bisher nicht vertretenen Beteiligten ist dieser ohne Verschulden gehindert, die Revision einzulegen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach der Zustellung des PKH-Beschlusses zu stellen (§ 56 Abs. 2 FGO). Innerhalb dieser Frist ist auch die versäumte Rechtshandlung – die Revisionseinlegung – nachzuholen. Beides ist im Streitfall geschehen.
2. Hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist im Streitfall aber weder ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden noch ist die Revisionsbegründung innerhalb der Zweiwochenfrist nachgeholt worden. Dennoch hat der BFH dem Kläger auch insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der BFH begründet das mit der durch unterschiedliche Rechtsauffassungen oberster Bundesgerichte verursachte Unklarheit der Rechtslage, die weder dem Kläger noch seinem Prozessbevollmächtigten zur Last gelegt werden dürfe.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG soll in PKH-Fällen dem Rechtsmittelführer eine weitere einmonatige Revisionsbegründungsfrist zur Verfügung stehen, deren Lauf erst mit der Zustellung des Beschlusses zu laufen beginnt, mit dem die Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Revisionseinlegungsfrist gewährt wird. Danach wäre hier diese weitere Begründungsfrist eingehalten worden, weil bei Eingang der Revisionsbegründung über den Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der Einlegungsfrist noch gar nicht entschieden war.
Im Gegensatz dazu hat der Große Senat des BFH die Einräumung einer weiteren Revisionsbegründungsfrist abgelehnt; er hält es nicht für gerechtfertigt, einem Kläger, dem PKH gewährt worden ist, eine im Ergebnis längere Revisionsbegründungsfrist einzuräumen als einem Kläger, der die Kosten des Rechtsstreits von vornherein selbst zu tragen hatte. Nach dieser Auffassung wäre hier die Revisionsbegründungsfrist versäumt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 4.9.2002, XI R 67/00