Leitsatz
1. Eine in unmittelbarer Nähe zur eigentlichen Wohnung gelegene, privat genutzte Garage fällt unter den Begriff der "Wohnung" i.S. des § 287 Abs. 4 Satz 1 AO.
2. Für die gewaltsame Öffnung und für das Durchsuchen einer derartigen Garage mit dem Ziel, pfändbare Gegenstände aufzufinden, ist eine richterliche Anordnung erforderlich, wenn weder die Einwilligung des Vollstreckungsschuldners noch Gefahr im Verzug vorliegen (§ 287 Abs. 4 AO).
3. Wird der Durchsuchungsbeschluss aufgehoben, wird eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig.
4. Dem FG ist es verwehrt, die Entscheidung des LG, mit dem dieses den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben hat, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.
5. Die bloße Erneuerung von Pfandsiegelmarken ist ebenso wie das Mitnehmen der Schlüssel und der Fahrzeugpapiere eines gepfändeten Fahrzeugs keine (erneute) Pfändung.
Normenkette
§§ 249ff., § 287 AO, § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, § 952 Abs. 1 Satz 2 BGB, §§ 567 ff., § 793 ZPO
Sachverhalt
Im Streitfall ließen Vollziehungsbeamte des FA die Hintertür zur Garage des Klägers in Gegenwart der Polizei durch einen Schlüsseldienst öffnen. Die leitende Vollziehungsbeamtin pfändete dort einen Pkw und ein Motorrad. Dabei lag den Beamten ein Durchsuchungsbeschluss des zuständigen AG für die Wohnung und die Geschäftsräume des Klägers unter Auflistung von zehn Vollstreckungsersuchen, aber ohne Nennung der jeweils zu vollstreckenden Beträge vor.
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hob das LG den Durchsuchungsbeschluss des AG auf, weil die beizutreibenden Beträge in der Durchsuchungsanordnung nicht bezeichnet worden waren.
Entscheidung
Der BFH hat das Urteil der Vorinstanz teilweise aufgehoben und festgestellt, dass die Sachpfändung rechtswidrig war.
Hinweis
Nach § 287 Abs. 1 AO ist der Vollziehungsbeamte befugt, die Wohn- und Geschäftsräume sowie die Behältnisse des Vollstreckungsschuldners zu durchsuchen, soweit dies der Zweck der Vollstreckung erfordert. Ohne dessen Einwilligung dürfen die Wohn- und Geschäftsräume jedoch gemäß § 287 Abs. 4 Satz 1 AO nur aufgrund einer richterlichen Anordnung durchsucht werden (außer bei Gefahr im Verzug, § 287 Abs. 4 Satz 2 AO). Damit setzte der Gesetzgeber die Vorgaben aus Art. 13 GG um.
Im Streitfall lag im Zeitpunkt der Vollstreckung zwar ein wirksamer Durchsuchungsbeschluss vor, dieser war jedoch später auf die sofortige Beschwerde des Klägers durch das LG aufgehoben worden. Das FG hatte in seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss lediglich an einem geringen formellen Fehler leide, weil zwar die Vollstreckungsersuchen mit Behörde und Datum aufgeführt waren, jedoch die einzelnen zu vollstreckenden Beträge fehlten. Ein solch geringer Formfehler sei mit einem Grundrechtseingriff ohne jegliche richterliche Durchsuchungsanordnung nicht vergleichbar, weil bei fehlender Anordnung der Grundrechtseingriff ohne Weiteres erkennbar sei. Mithin habe sich das FA auf die Durchsuchungsanordnung berufen können. Im Ergebnis verneinte das FG die Rechtswidrigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen.
Nachdem sich die Rechtsprechung bislang nicht einheitlich zu den Folgen einer fehlerhaften Durchsuchungsanordnung geäußert hatte (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.8.1987, IX K 38/86, EFG 1988, 102; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.12.2011, 7 K 7007/08, Haufe-Index 3015977, EFG 2012, 1008), stellte der BFH nunmehr klar, dass die Durchsuchungsanordnung Grundlage für die Rechtmäßigkeit der in der Wohnung des Vollstreckungsschuldners gegen dessen Willen durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen ist.
Wird wegen Geldforderungen vollstreckt, enthalten die §§ 249 ff. AO und §§ 259 ff. AO die allgemeinen Vorschriften für die Vollstreckung, die durch die besonderen Vorschriften in den folgenden Unterabschnitten der AO ergänzt werden. So enthält § 287 AO besondere Regelungen über die Befugnisse der Vollziehungsbeamten, die ebenfalls eingehalten werden müssen, anderenfalls ist die Vollstreckungsmaßnahme rechtswidrig.
Es handelt sich mithin nicht um eine Frage der "Fernwirkung" eines Verfahrensverstoßes. In diesen Fällen geht es i.d.R. um Beweisverwertungsverbote nach rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahmen (z.B. Auskunftsersuchen). Eine Fernwirkung dieser Verfahrensverstöße hatte der BFH bislang allenfalls bei qualifizierten, grundrechtsrelevanten Verfahrensverstößen in Betracht gezogen (BFH, Urteil vom 15.4.2015, VIII R 1/13, Haufe-Index 8752437; BFH, Urteil vom 4.10.2006, VIII R 53/04, BFH/NV 2007, 119, BStBl II 2007, 227).
Im Streitfall war es dem FG (FG München, Urteil vom 18.12.2017, 10 K 712/17, Haufe-Index 11549970, EFG 2018, 521) insbesondere verwehrt, die Entscheidung des LG, mit dem dieses den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben hat, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Letztlich hatte das FG eine solche Überprüfung durchgeführt, indem es nur einen "geringfügigen" Formfehler angenommen hatte. Für den Erlass der Durchsuchungsanordnung sind jedoch allein...