Leitsatz
Eine ablehnende Kindergeldfestsetzung ist zugunsten der Eltern nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben, wenn der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch Abzug der Sozialbeiträge unterschritten wird und die Familienkasse die konkrete Höhe dieser Beiträge bisher nicht kannte.
Sachverhalt
Der Sohn des Klägers befand sich von 1.8.2001 bis 31.1.2005 in Ausbildung. Die Familienkasse hat es mit Bescheid vom 12.12.2002 wegen voraussichtlicher Überschreitung der Einkunfts- grenzen abgelehnt, Kindergeld für die Zeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres zu zahlen. Nachdem der Kläger von der Entscheidung des BVerfG vom 11. 1. 2005 Kenntnis erlangt hatte, beantragte er mit Schreiben vom 17. 7. 2005 Kindergeld für den Zeitraum 1.2.2003 bis 31.12.2004. Während die Familienkasse für das Jahr 2004 dem Antrag entsprochen hat, wurde der Antrag für das Jahr 2003 mit dem Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids vom 12.12.2002 abgelehnt.
Entscheidung
Unter welchen Voraussetzungen eine Unterschreitung des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 EStG nachträglich bekannt geworden ist, ist in § 70 Abs. 4 EStG selbst nicht geregelt. Aus diesem Grund sind nach Auffassung des Finanzgerichtes die Voraussetzungen des Merkmals "nachträglich bekannt geworden" nach Maßgabe von Rechtsprechung und Schrifttum zu der insoweit gleich- lautenden Regelung in § 173 AO zu bestimmen. Danach sind zur Aufhebung oder Änderung von Kindergeldbescheiden führende nachträglich bekannt gewordene Tatsachen im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG solche Tatsachen, die im Zeitpunkt der Willensbildung des für die Kindergeldfestsetzung zuständigen Beamten noch nicht bekannt waren. Da die genaue Höhe der von der Ausbildungsvergütung des Sohnes einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge dem zuständigen Mitarbeiter der Familienkasse bei Erlass des Bescheides vom 12. 12. 2002 noch nicht bekannt war, handelt es sich um ein nachträgliches Bekannt werden im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG. Die genaue Höhe der Sozialbeiträge ist auch eine rechtlich erhebliche Tatsache im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG. Denn Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann (vgl. BFH, Urteil v. 14.5.2003, X R 60/01, BFH/NV 2003 S.1144).
Hinweis
Im Ergebnis entspricht diese Entscheidung den Urteilen des FG Düsseldorf vom 12.1.2006 - 14 K 4078/05 Kg (Rev. beim BFH: III R 6/06), vom 12. 1. 2006 - 14 K 4361/05 (Rev. beim BFH: III R 9/06), vom 5. 4. 2006 - 14 K 4432/05 Kg (Rev. beim BFH: III R 34/06), und des FG Münster vom 22. 3. 2006 - 10 K 1105/04 Kg (Rev. beim BFH: III R 37/06). Der 11. Senat des FG Münster hat jedoch die Anwendungsmöglichkeit des § 70 Abs. 4 EStG damit begründet, dass für die Auslegung des Begriffes "nachträgliches Bekannt werden" im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG die Rechtsprechung des BFH zu § 173 AO heranzuziehen sei. Aus diesem Grunde macht dieses Urteil (Az. der Revision: III R 35/06) auch Hoffnung für die Fälle, in denen bereits eine abschließende Prüfung der Einkünfte des Kindes stattgefunden hat.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 24.03.2006, 11 K 4391/05 Kg