Leitsatz
Ein bestandskräftiger Bescheid, mit dem wegen voraussichtlicher Überschreitung des Jahresgrenzbetrages die Festsetzung von Kindergeld aufgehoben wurde, ist nach § 70 Abs. 4 EStG auch dann zu ändern, wenn der Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten wird, weil nach der Rechtsprechung des BVerfG die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen sind
Sachverhalt
Der Sohn des Klägers befand sich vom 1. 7. 02 - 15. 7. 05 in Ausbildung. Die Familienkasse hat mit Bescheid vom 8. 6. 04 im Rahmen einer Prognoseentscheidung eine voraussichtliche Überschreitung des Jahresgrenzbetrages für das Jahr 2004 festgestellt, und die Zahlung des Kindergeldes ab Januar 2004 abgelehnt. Am 6. 9. 05 legte der Kläger eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen seines Sohnes für das Jahr 2004 bei der Familienkasse vor, nach der sich unter Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge ein Unterschreiten des Grenzbetrages ergab. Da der Beschluss des BVerfG nur auf offene Fälle anzuwenden sei, hat die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes bis einschließlich Juni 04 abgelehnt.
Entscheidung
Nach Auffassung des Finanzgerichtes steht die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 8. 6. 04 einer Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG und damit einer Kindergeldgewährung für die Zeit vom 1.1. - 30.6.04 nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine Kindergeldfestsetzung nämlich aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wir, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag über- oder unterschreiten. Im Gegensatz zu § 173 Abs. 1 AO kommt es nach dem Wortlaut des § 70 Abs. 4 EStG nicht darauf an, dass Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, sondern es ist nach dieser Vorschrift ausreichend, wenn das Über- oder Unterschreiten des Grenzbetrages nachträglich bekannt wird. Dass die Abweichdung vom bisher zugrunde gelegten Grenzbetrag auslösende Ereignis kann deshalb nach Auffassung des FG auch in einer von der bisherigen Rechtsprechung des BFH abweichenden, verfassungskon- formen Auslegung einer Norm liegen. Wegen der Vorläufigkeit der Überprüfung der Einkünfte und Bezüge im Prognoseverfahren, welches mit dem Lohnsteuerermäßigungs- und Einkommen-steuervorauszahlungsverfahren vergleichbar ist, ist die Familienkasse bei einer endgültigen Überprüfung weder an die tatsächlichen Feststellungen noch an die rechtliche Würdigung im Rahmen einer Prognoseentscheidung gebunden. Das FG ist auch nicht an die anders lautende Verwaltungsanweisung des BfF vom 17. 5. 2005 gebunden, da es sich bei dieser Verwaltungsanweisung nicht um eine typisierende Vereinfachungsregelung sondern um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung handelt.
Hinweis
Die wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Revision ist unter dem Az. III R 3/07 beim BFH anhängig. Es ist jedoch zu befürchten, dass der BFH -wie bereits im Urteil vom 28. 11. 2006, III R 6/06 geschehen - eine andere Auffassung vertreten wird. Vor vorschnellen Einspruchsrücknahmen in vergleichbaren Fällen ist jedoch abzuraten, da immer noch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde besteht. Eine solche Verfassungsbeschwerde dürfte große Erfolgsaussichten haben, da neben der Fülle der gleichlautenden FG Urteile das FG München in diesem Urteil eine weitere stichhaltige Begründung für die Anwendung des § 70 Abs. 4 EStG gegeben hat.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 05.12.2006, 12 K 23/06