Kommentar
Nachdem die Vermögensteuer seit Jahresbeginn 1997 nicht mehr nach dem ehemaligen Vermögensteuergesetz erhoben werden darf (BVerfG, Beschluß v. 22. 6. 1995, 2 BvL 37/91, BStBl 1995 I S. 655) ist streitig, ob noch für zurückliegende Jahre Vermögensteuerbescheide ergehen und vollstreckt werden dürfen (gegen eine Erhebung der Vermögensteuer z. B. Felix, NWB, Nr. 18 v. 28. 4. 1997 S. 1349; Gast-de Haan, NWB Nr. 21 v. 20. 5. 1997 S. 1629; Grögler, NWB, Aktuelles S. 1109; Schüppen, DStR 1997 S. 225; a. A. Halaczinsky, NWB Fach 9 S. 2769).
Der BFH hat nunmehr – sehr rasch nach Erlaß einer Entscheidung im Aussetzungsverfahren ( BFH, Beschluß v. 18. 6. 1997, II B 33/97, BStBl 1997 II S. 515 ) – auch in einem Revisionsverfahren entschieden, daß das bisherige Vermögensteuerrecht für alle vor 1997 endenden Veranlagungszeiträume fortgilt. Dies gilt unabhängig davon, wann und durch wen im Einzelfall über die Steuerfestsetzung für diese Zeiträume entschieden wird. Dies ergibt sich nach Auffassung des BFH aus der Tatsache, daß das BVerfG nicht die Nichtigkeit der geprüften Rechtsnorm, sondern lediglich deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz ausgesprochen und zugleich ihre befristete Weitergeltung angeordnet hat.
Folge einer Nichtigkeitserklärung wäre u. a. gewesen, daß das VStG mit dem Ergehen des Beschlusses nicht mehr hätte angewendet werden können, in bereits abgeschlossenen Steuerfällen jedoch die Steuer nicht erstattet worden wäre (§ 79 BVerfG). Damit wäre die endgültige steuerliche Belastung der einzelnen Steuerpflichtigen im Ergebnis vom jeweiligen zufälligen Verfahrensstand bei Ergehen des BVerfG-Beschlusses abhängig gewesen.
Sinn und Zweck der bloßen Unvereinbarkeitserklärung, verbunden mit der Anordnung, die geprüfte Rechtsnorm für eine bestimmte Zeit weiter anzuwenden, und zugleich verfassungsrechtliche Rechtfertigung war es jedoch gerade, diese unerwünschte Folge einer Nichtigkeitserklärung zu vermeiden und durch eine verfassungsnähere, insbesondere den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung stärker berücksichtigende Folge zu ersetzen. Dies war nur dadurch zu erreichen, daß alle innerhalb eines bestimmten Zeitraums verwirklichten Sachverhalte rechtlich gleich behandelt werden. Dazu muß die befristete Anordnung der Weiteranwendung des für verfassungswidrig erkannten Rechts als eine Regelung über dessen zeitlichen Geltungsbereich mit der Folge verstanden werden, daß es für alle innerhalb dieses zeitlichen Geltungsbereichs verwirklichte Sachverhalte noch Rechtswirkung erzeugt.
Jede andere Auslegung liefe dem Sinn und Zweck einer Unvereinbarkeitserklärung, die mit der Anordnung einer befristeten Weiteranwendung der beanstandeten Rechtsnorm verbunden ist, zuwider (so BFH, Beschluß v. 18. 6. 1997, II B 33/97, BStBl 1997 II S. 515 ; im Ergebnis ebenso unter Heranziehung weiterer Gesichtspunkte FG Hamburg, Urteil v. 22. 5. 1997, II 160/95, EFG 1997 S. 838).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.07.1997, II R 9/95
Hinweis:
Der Entscheidung des BFH ist zuzustimmen. Eine Auffassung, die abweichend hiervon nach dem willkürlichen Zeitpunkt der Vermögensteuerfestsetzung differenziert, würde dem Zufallsprinzip folgen. Sie widerspräche dem elementaren Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Deshalb können Vermögensteuerbescheide für Veranlagungszeiträume bis einsschließlich 1996 weiterhin ergehen und vollzogen werden.
Das letzte Wort zu diesem Fragenkomplex wird allerdings das BVerfG zu sprechen haben. Bei diesem ist zu diesen Fragen unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1831/97 eine Verfassungsbeschwerde bereits anhängig. Zur Vorbeugung gegen haftungsrechtliche Risiken sollte deshalb der steuerliche Berater gegen Vermögensteuerbescheide, die nach dem 1. 1. 1997 ergehen oder vollzogen werden, Einspruch einlegen und das Ruhen des Verfahrens beantragen ( § 363 Abs. 2 AO ). Aus Gründen des Kostenrisikos sollte versucht werden, Finanzgerichts prozesse nach Möglichkeit zu vermeiden .