Der ATE 2022 enthält – ebenso wie der ATE 1983 – Verfahrensvorschriften.
a) Beantragung einer Freistellungsbescheinigung
Der Verzicht auf die Besteuerung im LSt-Verfahren ist nach ATE 2022 Rz. 16 vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer beim Betriebsstätten-FA zu beantragen (Freistellungsbescheinigung). Dabei ist glaubhaft zu machen, dass die nach deutschem Recht ermittelten Einkünfte im Tätigkeitsstaat voraussichtlich einer der deutschen ESt entsprechenden Steuer unterliegen. Beachten Sie: Der Nachweis über die Höhe der Mindestbesteuerung nach ATE 2022 Rz. 11 Nr. 3 ist erst im Veranlagungsverfahren erforderlich.
Wurde glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach dem ATE vorliegen, kann nach ATE 2022 Rz. 17 S. 1 die Freistellungsbescheinigung erteilt werden, solange dem Arbeitgeber eine Änderung des LSt-Abzugs möglich ist (§ 41c EStG). Zur Glaubhaftmachung reichen Vertragsunterlagen bzw. (elektronischer) Schriftverkehr zwischen Personalabteilung und Arbeitnehmer aus (ATE 2022 Rz. 17).
b) Verpflichtendes besonderes Verfahren
Außerdem muss sich der Arbeitgeber gem. ATE 2022 Rz. 17 S. 2 verpflichten, das folgende Verfahren einzuhalten:
- Gesonderte Aufzeichnung im Lohnkonto: Der begünstigte Arbeitslohn ist im Lohnkonto gesondert aufzuzeichnen und in der elektronischen LSt-Bescheinigung, ggf. der besonderen LSt-Bescheinigung, sowie der Gehaltsbescheinigung, dem Entgeltnachweis etc. jeweils getrennt vom übrigen Arbeitslohn anzugeben.
- Beleg zum Lohnkonto: Die Freistellungsbescheinigung ist als Beleg zum Lohnkonto des Arbeitnehmers zu nehmen.
- Kein Jahresausgleich durch Arbeitgeber: Für Arbeitnehmer, die während des VZ begünstigten Arbeitslohn bezogen haben, darf der Arbeitgeber weder die LSt nach dem voraussichtlichen Jahresarbeitslohn ermitteln (§ 39b Abs. 2 S. 12 EStG, sog. permanenter Jahresausgleich) noch einen LSt-Jahresausgleich nach § 42b EStG durchführen.
Vergleich zum ATE 1983: Im Vergleich zum ATE 1983 ergeben sich hinsichtlich der Zuständigkeit des Betriebsstätten-FA, des Antragserfordernisses durch den Arbeitgeber, der Möglichkeit der Erteilung einer Freistellungsbescheinigung und der verpflichtenden Anzeige gegenüber dem Betriebsstätten-FA zum Ablauf des LSt-Verfahrens keine Änderungen. Beachten Sie: Allein in Rz. 18 ist wegen der näheren Regelungen für VZ ab 2023 ausdrücklich auf § 41c EStG, R 41c.1, R 42d.1 LStR und H 42d.1 LStH Bezug genommen. Diese haben aber bereits für VZ bis einschließlich 2022 Geltung.
c) Verhältnis LSt-Verfahren zur ESt-Veranlagung
Entsprechend allgemeiner Grundsätze wird in Rz. 19 des ATE 2022 darauf hingewiesen, dass die Steuerfreistellung des Arbeitslohns abschließend bei der ESt-Veranlagung des Arbeitnehmers erfolgt. Soweit aufgrund der Freistellungsbescheinigung bereits i.R.d. LSt-Abzugsverfahrens auf die Besteuerung verzichtet worden ist, sind v.a. die Nachweise zur Mindestbesteuerung (ATE 2022 Rz. 11 Nr. 3) bei der ESt-Veranlagung zu erbringen. Soweit nicht bereits vom Steuerabzug abgesehen worden ist, hat der Arbeitnehmer den Verzicht auf die Besteuerung bei seinem Wohnsitz-FA i.R.d. ESt-Veranlagung zu beantragen.
Nachweiserfordernisse beim LSt-Abzug möglichst gering gehalten: Diese Regelungen sind erkennbar von der begrüßenswerten Absicht der Finanzverwaltung getragen, die Nachweiserfordernisse beim LSt-Abzug möglichst gering zu halten. Der Arbeitgeber hat die Voraussetzungen des ATE nur glaubhaft zu machen.
d) Neue Antragsfrist bis zum Ablauf der Bestandskraft
Der Antrag auf Anwendung des ATE 2022 ist spätestens bis zum Eintritt der Bestandskraft des ESt-Bescheids zu stellen (Rz. 19 des ATE 2022). Dies war im ATE 1983 noch nicht ausdrücklich geregelt, weshalb der BFH davon ausging, dass der Antrag auf Anwendung des ATE 1983 zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt wird. Dieses Urteil wird aufgrund der Neufassung des ATE 2022 mit dessen Anwendung für VZ ab 2023 überholt sein.
Beraterhinweis Damit ist eine Anwendung des ATE 2022 nicht mehr möglich, wenn die Steuerfestsetzung bestandskräftig geworden ist.