a) Art und Höhe des neuen Zinssatzes
Minimale Umsetzung der BVerfG-Entscheidung: Die Vollverzinsung stellt kein Sanktionsmittel dar, sondern soll stattdessen Liquiditätsvorteile, die dem Steuerschuldner oder dem Fiskus durch eine zeitlich verschobene Steuerfestsetzung im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses entstehen, abschöpfen (vgl. Hermes in Zugmaier/Nöcker, AO, § 233a Rz. 1). Vor diesem Hintergrund ist die beabsichtigte deutliche Senkung des Zinssatzes von 6 % p.a. (0,5 % pro Monat) auf 1,8 % p. a. (0,15 % pro Monat) für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 überfällig, um die vom Kapitalmarktzinsniveau entkoppelte Verzinsung von Steuererstattungen und -nachzahlungen zu beenden. Die bisherige Zinshöhe führte bei Nachzahlungsschuldnern zu einer verdeckten Steuerlast und bei Erstattungsgläubigern des Staates zu einer ungerechtfertigt hohen Begünstigung (hierzu statt vieler Kroh/Weber, DStR 2015, 2794 ff.). Mit Blick auf den Gesetzentwurf ist jedoch bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung für eine minimale Umsetzung der Entscheidung des BVerfG entschieden hat, indem lediglich die Verzinsung i.S.d. § 233a AO der Höhe nach angepasst werden soll. Unverändert bleiben damit neben den zahlreichen Anwendungsproblemen des § 233a AO (vgl. zur grundsätzlichen Kritik an der abgabenrechtlichen Vollverzinsung insb. Loose, StuW 2003, 377 ff.) auch die Höhe der Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungs- sowie Prozesszinsen i.S.d. §§ 234 ff. AO sowie weiterer materiell-rechtlicher Verzinsungsregelungen im Steuerrecht. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang z.B. die Abzinsungssätze des EStG in den §§ 6a, 6 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3a Buchst. e EStG für die Bewertung von Pensionsrückstellungen und von Verbindlichkeiten sowie Rückstellungen. Somit bleibt der Gesetzentwurf hinsichtlich des Umfangs der Neuregelung weit hinter den Erwartungen zahlreicher Berufskammern und Verbände zurück, die sich für eine Anpassung sämtlicher verfahrens- und materiell-rechtlicher Zinstatbestände an ein kapitalmarktgerechtes Zinsniveau ausgesprochen hatten. Es ist also davon auszugehen, dass einer künftigen Änderung der übrigen steuerlichen Zinssätze erst weitere höchstrichterliche Rspr. vorausgehen muss.
Grundlagen des neuen Zinssatzes: Die Ermittlung der Zinshöhe des § 238 Abs. 1a AO-E orientiert sich am Basiszinssatz des § 247 BGB, der zum 1.1.2022 bei -0,88 % lag. Hiervon ausgehend nimmt der Gesetzgeber einen Zuschlag von ca. 2,7 % p.a. vor, um den Zinssatz i.S.d. § 238 Abs. 1a AO-E für die Vollverzinsung zu ermitteln. Die Verwendung des Basiszinssatzes als Ausgangsgröße sowie eines Zuschlagsatzes zur Anpassung ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Bestimmung dieses Zuschlagsatzes sollte jedoch nachvollziehbarer erfolgen, als dies der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist. Dort wird lediglich ausgeführt, dass sich der Zinssatz des § 238 Abs. 1a AO-E an der Höhe der Einlagenzinsen (derzeit rund 0 % p.a.) sowie der Darlehenszinsen für besicherte und unbesicherte Konsumentenkredite von derzeit 2,4 % bzw. 5,3 % p.a. als Eckwerte orientiere. Der Zinssatz des § 238 Abs. 1a AO-E bilde einen angemessenen Mittelwert zwischen diesen Zinsgrößen. Dies überzeugt auch mit Blick auf die Entscheidung des BVerfG nicht, das angesichts negativer Einlagezinsen auch einen Verzicht auf eine Vollverzinsung anregte (BVerfG v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14, Rz. 245).
b) Evaluierungsklausel
Das BVerfG stellte dem Gesetzgeber in seinen Beschlüssen drei Möglichkeiten für eine Neuregelung der Höhe von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen zur Auswahl. Neben der vollständigen Abschaffung der Vollverzinsung oder der Verwendung eines variablen Zinssatzes hat das BVerfG auch die Anwendung eines grundsätzlich festen Zinssatzes mit regelmäßiger Überprüfung und Anpassung der Zinshöhe an ein verändertes Kapitalmarktzinsniveau zur Wahl gestellt. Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Gesetzentwurf für diese letzte Variante entschieden, indem die Höhe des Zinssatzes einer Evaluierung nach jeweils spätestens drei Jahren unterzogen werden soll.
Diese vom Gesetzgeber gewählte Variante führt nicht zum selben Ergebnis, wie die Verwendung eines variablen Zinssatzes, da Veränderungen am Kapitalmarkt mit einer größeren zeitlichen Verzögerung im abgabenrechtlichen Vollverzinsungssatz reflektiert werden. Die Evaluierungsfrist von grundsätzlich drei Jahren läuft u.U. der Anforderung des BVerfG zuwider, Veränderungen am Kapitalmarkt mit einer geringen zeitlichen Verzögerung im Zinssatz abzubilden. Eine fortlaufende Orientierung am variablen Basiszinssatz, der im Halbjahresrhythmus von der Bundesbank angepasst wird, würde dies hingegen gewährleisten und außerdem für Rechtssicherheit bei den Beteiligten sorgen, da z.B. die ermessensreiche Festlegung der Evaluierungszeitpunkte innerhalb eines dreijährigen Turnus bei starken Zinsschwankungen entfiele. Dies ließe...