Neuregelung der Vollverzinsung nach § 233a AO
Zugleich werden einzelne kleinere Regelungen zur Mitteilungspflicht über grenzüberschreitende Steuergestaltungen an unionsrechtliche Vorgaben angepasst werden.
Stand des Gesetzgebungsverfahrens | |
22. Februar 2022 | Referentenentwurf |
30. März 2022 | Kabinettsbeschluss |
23. Juni 2022 | Verabschiedung Bundestag |
8. Juli 2022 | Verabschiedung Bundesrat |
21.Juli 2022 | Verkündung |
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
Das BVerfG hatte entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird (Beschluss vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, siehe hierzu auch unsere News). Hintergrund hierfür ist das seit Jahren anhaltende niedrige Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt, das in Gegensatz zur 6-prozentigen Jahresverzinsung durch die Finanzverwaltung steht.
Diese Ungleichbehandlung sah das Gericht für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume als noch als verfassungsgemäß an. Dies gilt jedoch nicht mehr für Verzinsungszeiträume ab 2014. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst dabei auch die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen.
Das BVerfG differenzierte jedoch insoweit, als es das bisherige Recht für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume für weiterhin anwendbar erklärte. Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, wurde der Gesetzgeber dagegen verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.
Neuregelung der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen
Der Zinssatz für Zinsen nach § 233a AO wird nach dem Änderungsgesetz für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 rückwirkend auf 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) gesenkt und damit an die verfassungsrechtlichen Vorgaben angepasst, § 238 Abs 1a (neu) AO. Die Neuregelung gilt für alle Steuern, auf die die Vollverzinsung anzuwenden ist. Eine Ausnahme einzelner Steuern, insbesondere der Umsatzsteuer, ist dabei nicht vorgesehen.
Teilverzinsungszeiträume
Sind für einen Zinslauf unterschiedliche Zinssätze maßgeblich, ist der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen, für die die Zinsen jeweils tageweise zu berechnen sind. Hierbei wird jeder Kalendermonat unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Kalendertage mit 30 Zinstagen und jedes Kalenderjahr mit 360 Tagen gerechnet, § 238 Abs 1a (neu) AO:
- Nach der Gesetzesbegründung sollen Monate, die als Ganzes zwischen Anfangsdatum und Enddatum des Zinszahlungszeitraums liegen, hierbei unabhängig von ihrer tatsächlichen Tageanzahl mit jeweils 30 Tagen gezählt werden.
- Sofern der Beginn oder das Ende des Zeitraums auf den 31. eines Monats fällt, wird dieser Tag wie der 30. Kalendertag behandelt.
- Für den Februar gilt: Endet der Zinsberechnungszeitraum am 28.02. bzw. in einem Schaltjahr am 29.02., werden die Zinsen auch nur bis zu diesem Tag berechnet. Geht der Zinsberechnungszeitraum hingegen über den Februar hinaus, wird der Februar wie jeder Monat mit 30 Tagen veranschlagt.
- Um den Anteil am Jahreszinssatz zu ermitteln, wird die Summe der ermittelten Zinstage dann durch 360 geteilt.
Regelmäßige Überprüfung der Angemessenheit des Zinssatzes
Die Angemessenheit des Zinssatzes ist unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle 2 Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume zu evaluieren, erstmals zum 1.1.2024, § 238 Abs 1c (neu) AO. Eine Änderung des Zinssatzes soll nach der Gesetzesbegründung möglichst erst dann erfolgen, wenn der zum 1. Januar des Jahres der Evaluation geltende Basiszinssatz um mehr als einen Prozentpunkt von dem bei der letzten Festlegung oder Anpassung des Zinssatzes geltenden Basiszinssatz abweicht.
Zinsen: Festsetzungsfrist
Die bisher einjährige Festsetzungsfrist für Zinsen wird in Anlehnung an die Ablaufhemmungen der Festsetzungsfrist für Steuern in § 171 Abs. 10 und 10a AO auf zwei Jahre verlängert (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO).
Außerdem wird in § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 und 6 (neu) eine Auffangregelung zur Bestimmung des Beginns der Festsetzungsfrist in allen in den Nummern 1 bis 5 nicht geregelten Fällen geschaffen. Sie betrifft alle außerhalb der AO geregelten Zinsen, auf die nach § 233 AO die Regelungen des § 239 AO anzuwenden sind.
Die Neuregelungen gelten in allen Fällen, in denen nach dem Tag der Verkündung des Änderungsgesetzes Zinsen festgesetzt werden.
Weitere Änderungen bei der Verzinsung
Folgende weitere Änderungen gibt es bei der Verzinsung nach § 233a AO:
- § 233a Absatz 2 Satz 3 (neu) AO: Mit einem dem neuen Satz 3 wird bestimmt, dass Kapitalerträge nach § 32d Abs. 1 und § 43 Abs. 5 EStG bei der Entscheidung über die maßgebliche Karenzzeit (reguläre Karenzzeit nach § 233a Absatz 2 Satz 1 AO oder verlängerte Karenzzeit nach § 233a Absatz 2 Satz 2 AO) nicht zu berücksichtigen sind. Dies soll der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens dienen.
- § 233a Absatz 3 Satz 4 (neu) AO: Hier wird mit dem "last in/first out-Prinzip" die langjährige Verwaltungspraxis bei der Zuordnung zu verzinsender Steuerzahlungen gesetzlich verankert: Besteht der Erstattungsbetrag aus mehreren Leistungen, richtet sich der Zinsberechnungszeitraum jeweils nach dem Zeitpunkt der Leistungen; die Leistungen sind in chronologischer Reihenfolge zu berücksichtigen, beginnend mit der jüngsten Leistung.
- 233a Abs. 8 (neu) AO: Die Billigkeitsregelung über den Erlass von Nachzahlungszinsen aufgrund "freiwilliger" Zahlungen wird nun in Satz 1 gesetzlich verankert werden. Danach sind Nachzahlungszinsend entweder nicht festzusetzen oder zu erlassen, soweit Zahlungen oder andere Leistungen auf eine später wirksam gewordene Steuerfestsetzung erbracht wurden, die Finanzbehörde diese Leistungen angenommen und auf die festgesetzte und zu entrichtende Steuer angerechnet hat. Die Neuregelung gilt anders als der Anwendungserlass zu § 233a AO auch bei der Verzinsung der von Gemeinden verwalteten Gewerbesteuer.
Die Neuregelungen gelten in allen Fällen, in denen nach dem Tag der Verkündung des Änderungsgesetzes Zinsen festgesetzt werden.
Rechts- und Planungssicherheit
Nach Ansicht der Bundesregierung gewährleistet die Neuregelung Rechts- und Planungssicherheit für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Finanzbehörden und sei einfach in der praktischen Anwendung. Bei der rückwirkenden Neuberechnung der Zinsen werde dem Vertrauensschutz durch Anwendung des § 176 Abs. 1 Nr. 1 AO Rechnung getragen. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht.
Andere Verzinsungstatbestände
Die Entscheidung des BVerfG erstreckt sich ausdrücklich nicht auf andere Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO.
Die Frage, ob auch für andere Zinsen nach der AO oder den Einzelsteuergesetzen als Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO sowie für Säumniszuschläge nach § 240 AO eine Neuregelung des Zinssatzes erfolgen muss, soll nicht in diesem Gesetz beantwortet werden. Ob und inwieweit diese Regelungen angesichts der Entscheidung des BVerfG ebenfalls anzupassen sind, muss laut der Begründung des Gesetzentwurfs noch eingehend geprüft werden.
Mitteilungspflicht bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen
Außerdem werden mit dem Änderungsesetz einzelne kleinere Regelungen zur Mitteilungspflicht über grenzüberschreitende Steuergestaltungen zeitnah an unionsrechtliche Vorgaben angepasst:
- § 138e Abs. 3 Satz 6 AO: Bei mittelbaren Beteiligungen wird festgelegt, dass eine Person als Halterin von 100% der Stimmrechte gilt, wenn sie Stimmrechtsbeteiligungen von mehr als 50% hält.
- § 138h Abs. 2 Satz 1 AO: Intermediäre haben bei marktfähigen Gestaltungen eine Aktualisierung zu den meldepflichtigen Informationen nach zu übermitteln. Hierzu gehören auch Angabe zu verbundenen Unternehmen. Durch die Aufnahme der Angaben nach § 138f Abs 3 Nr. 3 AO zu verbundenen Unternehmen in die zu aktualisierenden Angaben wird eine entsprechende Ergänzung vorgenommen.
Diese Änderungen sind in allen am Tag nach der Verkündung anhängigen Verfahren anzuwenden.
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