Kritische Auseinandersetzung mit dem Regierungsentwurf
[Ohne Titel]
StB Prof. Dr. Stefan Weber
Ergebnis zahlreicher steuerlicher Außenprüfungen ist neben der Versteuerung von Mehrergebnissen oft auch die bislang unangemessen hohe Verzinsung jener Beträge nach § 233a AO. Insbesondere in diesen Fällen rückt die sog. Vollverzinsung in das Bewusstsein von Mandanten und Steuerberatern. Ein jüngst veröffentlichter Regierungsentwurf hat im Wesentlichen die vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Neuregelung der Verzinsungshöhe zum Gegenstand. Der vorliegende Beitrag erläutert und beurteilt die Inhalte dieses Gesetzentwurfs aus Sicht der steuerlichen Beratungspraxis.
1. Problemstellung
Mit seinem am 18.8.2021 veröffentlichten Beschluss entschied das BVerfG, dass die Höhe der Vollverzinsung i.S.d. § 233a AO ihrer Höhe nach für Verzinsungszeiträume ab 2014 verfassungswidrig ist (BVerfG v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, BGBl. I 2021, 4303). Aufgrund einer Fortgeltungsanordnung für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ist der Zinssatz von bis dato 6 % p.a. rückwirkend erst für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 nicht mehr anzuwenden. Das BVerfG trug dem Gesetzgeber auf, bis zum 31.7.2022 eine verfassungskonforme Neuregelung für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 zu schaffen.
Am 22.2.2022 veröffentlichte das BMF einen Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung, der ganz überwiegend die vom BVerfG geforderte Neuregelung der Vollverzinsung zum Gegenstand hat. Am 30.3.2022 verabschiedete das Bundeskabinett einen entsprechenden Regierungsentwurf, der voraussichtlich am 24.6.2022 vom Bundestag und am 8.7.2022 vom Bundesrat verabschiedet werden soll.
Der vorliegende Beitrag beschreibt und beurteilt die wesentlichen Inhalte dieses Gesetzentwurfs, wobei dem steuerlichen Praktiker konkrete Handlungsempfehlungen gegeben werden.
2. Inhalte des Gesetzentwurfs
Erstattungs- und Nachzahlungszinsen i.H.v. 1,8 % p.a.: Die Neuregelung der Zinshöhe in einem neu eingefügten § 238 Abs. 1a AO-E beschränkt sich auf Erstattungs- und Nachzahlungszinsen i.S.d. § 233a AO. Eine Anpassung der weiterhin geltenden Zinshöhe von 6 % p.a. für Stundungen, Hinterziehungen sowie Aussetzungen und Prozesse sind im Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Der künftig anzuwendende Zinssatz für die Zinstatbestände des § 233a AO soll weiterhin sowohl für Steuernachforderungen als auch für Steuererstattungen gelten. Nach § 238 Abs. 1a AO-E wird der neue Zinssatz rückwirkend für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 0,15 % pro Monat und somit 1,8 % p.a. betragen. Die Neuregelung soll auch für alle verfahrensrechtlich noch offenen Fälle gelten, also insb. solche Zinsfestsetzungen, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) stehen, die ganz oder teilweise nach § 165 Abs. 1 S. 2 AO vorläufig ergangen sind oder bei denen ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist. Nur soweit die Zinsfestsetzung endgültig oder unanfechtbar ist, soll keine Anpassung erfolgen.
Vertrauensschutz: In § 15 Abs. 14 EGAO-E wird auf die Vertrauensschutzregel des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO verwiesen. Demnach kann bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids in den Fällen des § 233a Abs. 8 AO-E, § 238 Abs. 1a bis 1c AO-E und des § 239 Abs. 5 AO-E nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass das BVerfG die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht. Für Erstattungszinsen des Steuerpflichtigen etwa greift demnach der Vertrauensschutz und es kann durch die rückwirkende Zinssenkung nicht zu einer Rückforderung von in der Vergangenheit mit dem bis dato geltenden höheren Zinssatz festgesetzten Zinsen kommen. Sind hingegen Nachzahlungszinsen festgesetzt worden, so sollen diese auf Grundlage der Neuregelung neu berechnet und herabgesetzt werden.
Evaluierungsklausel: Der Gesetzentwurf sieht somit weiterhin einen starren Zinssatz für die Vollverzinsung vor. Um den Anforderungen des BVerfG zu entsprechen, ist in § 238 Abs. 1c AO-E eine Evaluierungsklausel vorgesehen. Der zufolge soll die Angemessenheit der Höhe des zur Anwendung kommenden Zinssatzes künftig mindestens alle drei Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume überprüft werden, wobei die erstmalige Evaluation zum 1.1.2026 vorgesehen ist. Die im Gesetzentwurf enthaltene Evaluierungsklausel schreibt eine Evaluierung also spätestens nach drei Jahren vor. Diese Formulierung hält es dem Gesetzgeber somit offen, z.B. bei signifikanten Zinsänderungen, auch in kürzeren Abständen eine Evaluierung durchzuführen und den Zinssatz anzupassen. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs soll eine häufige und...