Dr. Birger Brandt, Prof. Jürgen Brandt
Leitsatz
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob die Besteuerung der Ertragsanteile (Erträge des Rentenrechts; § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG) von Bezügen aus Leibrenten, die Gegenleistung für den Erwerb eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens sind, mit ihrem vollen Nennbetrag – ohne Berücksichtigung eines Sparerfreibetrags – ungeachtet dessen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist, dass es sich um pauschalierte Einkünfte aus Kapitalvermögen handelt.
Normenkette
Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG , § 80 Abs. 2 Satz 1 BverfGG , § 20 Abs. 4 EStG , § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Kläger übertrug sein Einfamilienhaus an die mit ihm zusammen zur ESt veranlagte Klägerin gegen Zahlung einer lebenslänglich wertgesicherten Rente von monatlich 4 000 DM. Die Kläger bewohnen das Haus gemeinsam.
Das FA besteuerte den Ertragsanteil der Rente erklärungsgemäß als Einkünfte des Klägers gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG. Der Ertragsanteil der Leibrente führte zu Betriebsausgaben der Klägerin, soweit er auf das von ihr im Haus – im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit – genutzte Arbeitszimmer entfiel. Den Antrag der Kläger, den darüber hinausgehenden Teil des Ertragsanteils als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abzuziehen, lehnte das FA ab. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Nach Auffassung des X. Senats des BFH ist es mit Art. 3 GG unvereinbar, dass der Sparerfreibetrag nach Art. 20 Abs. 4 EStG auf private Gegenleistungsrenten nicht anzuwenden ist.
Der erkennende Senat beabsichtige, die Klage insoweit abzuweisen, als die Klägerin den Abzug des Ertragsanteils der von ihr gezahlten Leibrente als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG begehre, weil der Ertragsanteil seinem materiell-rechtlichen Charakter nach ein privater Zinsanteil sei, der ungeachtet seiner Pauschalierung wie andere private Schuldzinsen die steuerliche Bemessungsgrundlage nicht mindern dürfe.
Andererseits zwinge diese Rechtsnatur des Ertragsanteils folgerichtig zu der Annahme, dass dem Kläger der für Einkünfte aus Kapitalvermögen geltende Sparerfreibetrag des § 20 Abs. 4 EStG zustehen würde, wenn dieser nicht bei der Anwendung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG ausgeschlossen wäre bzw. wenn derartige Erträge entsprechend ihrer Rechtsnatur bei § 20 EStG erfasst würden. Die Verfassungsmäßigkeit einer nicht durch den Sparer-Freibetrag abgemilderten Besteuerung des Ertragsanteils unterstellt, müsse der Senat der Revision des FA auch insoweit stattgeben, als dieses den von der Klägerin bezogenen Ertrag des Rentenrechts (Ertragsanteil) mit dem vollen Nennbetrag der Einkommensteuer unterworfen und nicht – nach näherer Maßgabe des § 20 Abs. 4 Satz 4 EStG – unter Anwendung eines anteiligen Sparer-Freibetrags versteuert habe.
Dieses Ergebnis sei nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar. Die Ungleichbehandlung des Ertragsanteils gegenüber den nach § 20 Abs. 1 und 2 EStG steuerbaren Kapitalerträgen, insbesondere den Erträgen aus sonstigen Kapitalforderungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG), sei durch besondere sachliche Gründe nicht gerechtfertigt. Die durch die Abweichung vom Ordnungsprinzip der synthetischen Einkommensteuer (Senatsbeschluss in BFHE 188, 69, BStBl II 1999, 450) indizierte Ungleichbehandlung verstoße mangels hinreichender Rechtfertigungsgründe gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.
Der (nur) für die 6. Einkunftsart geltende Sparerfreibetrag sei durch die Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen gerechtfertigt. Hierzu zählen insbesondere
- die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit des Kapitalvermögens und
- seine Bedeutung für die existenzsichernde Versorgung und Altersvorsorge.
Der Gesetzgeber habe mit dem Sparerfreibetrag eine großzügige Regelung getroffen, die steuerbare Sachverhalte einbeziehe, auf welche die gesetzgeberischen Erwägungen nicht zutreffen und mit denen Mitnahmeeffekte erzielt werden können. Diese Großzügigkeit sei in gleichheitswidriger Weise unabgestimmt mit der ungemilderten Besteuerung von in der Form des Ertragsanteils pauschalierten Kapitaleinkünften. Diese rührten aus einem "klassischen" Altersvorsorgeprodukt her, für welche die Privilegierungsgründe für Sparguthaben im Wesentlichen in gleicher Weise zuträfen: Gerade weil Leibrenten die Funktion hätten, mit eigenem Vermögen ausschließlich ein biometrisches Risiko abzudecken, dienten sie mit ihrem Vermögensumschichtungs- und dem Zinsanteil in vollem Umfang und ausschließlich der Vorsorge für das Alter. Auch Forderungen aus Leibrenten seien ebenso wie vergleichbare in geltender Währung ausgedrückte Forderungen inflationsanfällig.
Deshalb sei ein gleichheitsrechtlich tragfähiger Grund dafür, den Sparerfreibetrag nicht auf die der 7. Einkunftsart zugehörigen Erträge des Rentenrechts (Ertragsanteile) im Zusammenhang mit privaten Gegenleistungsrenten zu erstrecken, nicht ersichtlich. Die Ertragsante...