rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatsächlich benutzte längere Fahrtstrecke als offensichtlich verkehrsgünstigere Fahrstrecke im Rahmen der Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Straßenverbindung ist dann als verkehrsgünstiger als die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine andere längere Straßenverbindung nutzt und die Arbeitsstätte auf diese Weise trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen in der Regel schneller und pünktlicher erreicht. Offensichtlich verkehrsgünstiger ist die vom Arbeitnehmer gewählte Straßenverbindung dann, wenn ihre Vorteilhaftigkeit so auf der Hand liegt, dass sich auch ein unvoreingenommener, verständiger Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung der Strecke entschieden hätte. Dass bei extremen Stauverhältnissen die Umwegstrecke auch mal verkehrsgünstiger und schneller sein kann, reicht insoweit nicht aus.
- Die Indizwirkung der nicht feststellbaren regelmäßigen Fahrzeitverkürzung der längeren Strecke bzw. die im Regelfall sogar erhebliche Fahrzeitverkürzung der kürzeren Strecke bei normaler üblicher Verkehrslage überlagert im Rahmen der Gesamtbewertung mögliche Beeinträchtigungen durch Ampelschaltungen oder Innenstadtfahrten.
- Krankheitsgründe können grds. gegen die Zumutbarkeit der Benutzung der kürzeren Fahrtstrecke sprechen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 24. März 2003 II 61/02, juris: amtsärztlich attestierte Höhenangst). Die im Streitfall nicht weiter belegte erhöhte Unfallgefahr auf der kürzeren Fahrtstrecke sowie eine dargelegte Erforderlichkeit von planbaren Pausen wegen Rückenleidens bzw. Schwerbehinderung steht einer Unzumutbarkeit der Benutzung der kürzeren Fahrtstrecke jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Kläger - wie im Streitfall in der mündlichen Verhandlung dargelegt - infolge eines Standortwechsels des Arbeitgebers in einem späteren Veranlagungszeitraum einen Großteil der streitbefangenen kürzeren Fahrtstrecke später tatsächlich nutzt.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2
Tatbestand
Streitig waren zunächst ausweislich der Klageschrift die Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus den Objekten O und S-Str., I, die Kind bedingten Steuervergünstigungen für die 2017 geborene Tochter … sowie die Höhe der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen der Familienwohnung und der ersten Tätigkeitsstätte.
Nachdem die Kläger im Klageverfahren die Anlagen Kind und V sowie diverse Unterlagen nachgereicht haben, hat der Beklagte für die Streitjahre am 23. September 2022 geänderte Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 erlassen.
Ausweislich des nachfolgenden Schriftverkehrs zwischen den Beteiligten und des Klageantrags der Kläger ist nunmehr nur noch die Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Objekt S-Str., I, sowie die Höhe der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen der Familienwohnung und der ersten Tätigkeitsstätte streitig.
Mit Schriftsatz vom 22. November 2023 hat der Beklagte mitgeteilt, dass die Einkünfte aus der Vermietung des Objekts S-Str., I, wie von der Klägern begehrt mit ./. 3.098 € für 2018 sowie 3.829 € für 2019 angesetzt werden können.
Hinsichtlich der danach nur noch streitigen Aufwendungen für die Fahrten zwischen dem Familienwohnsitz (nunmehr unstreitig: H-Str., W) und der ersten Tätigkeitsstätte (K-Str., B) stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:
Der Kläger nutzt – wie nunmehr zwischen den Beteiligten unstreitig – tatsächlich die längere Strecke über die A 7 und A 391 (lt. Google Maps: 102 km) anstatt der kürzeren Strecke über die A2 (74,8 km).
In den Einkommensteuererklärungen 2018 und 2019 gaben die Kläger diesbezüglich eine Streckenlänge von 105 km an. Der Beklagte berücksichtigte dagegen lediglich eine einfache Entfernung von 84 km, da die längere Strecke nicht offensichtlich verkehrsgünstiger sei. Aus der KM-Differenz ergeben sich die in den beiden Streitjahren streitigen Aufwendungen in Höhe von 1.391,50 €.
Das gegen die entsprechenden Einkommensteuerbescheid 2018 und 2019 gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Berücksichtigung der höheren Fahrtaufwendungen weiter. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen Folgendes vor:
Die Strecke über die A 7/A 39 sei offensichtlich verkehrsgünstiger: Die Route des Klägers über die A 7 und A 39 führe nach Verlassen der Autobahn so dicht an seine Tätigkeitsstätte, dass er zum Erreichen der Tätigkeitsstrecke bzw. des Parkplatzes nur zwei Ampeln passieren müsse. Die Route über die A 2 und die A 391 hingegen führe durch das Stadtgebiet von Braunschweig mit über 17 Ampeln einschließlich Straßenbahnvorrang und Straßenbahnkreuzungen. Staubedingt ergäbe sich während der Berufszeiten auf der Strecke über die A 2/A 391 häufig ein erheblicher Zeitverlust. Die kürzere Strecke sei zudem ...