vorläufig nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betreuung von Familienwohngruppen als gesonderte gewerbliche Betätigung
Leitsatz (redaktionell)
- Betreibt ein Diplom-Sozialarbeiter unter der Bezeichnung „Therapeutische Gruppe” ein Kinderheim und bringt er daneben bis zu 15 Kinder/Jugendliche in sog. Familienwohngruppen unter, wobei er die Verwaltung beider Bereiche von seinem Wohnsitz aus vornimmt, so handelt es sich bei den Familienwohngruppen um eine gesonderte gewerbliche Betätigung.
- Ein Angehöriger eines freien Berufes ist zwar auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Das setzt aber voraus, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.
- Eigenverantwortlichkeit erschöpft sich nicht darin, nach außen hin die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des einzelnen Auftrages zu tragen. Da der Kernbereich erzieherischer Tätigkeit in der täglichen Einflussnahme von Bezugspersonen auf das jeweilige Kind im Hinblick auf das angestrebte Erziehungsziel liegt, reicht die bloße Verwaltung und Planung von sog. Familienwohngruppen für eine freiberufliche Tätigkeit nicht aus. Auch sporadische Besuche oder Telefonate können die tägliche Erziehungsarbeit nicht ersetzen.
Normenkette
EStG §§ 18, 15 Abs. 2 S. 1; GewStG § 2 Abs. 1
Streitjahr(e)
1995, 1996, 1997, 1998, 1999
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger in vollem Umfang eine freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG oder in einem Teilbereich eine gewerbliche Betätigung i.S.d. § 15 EStG ausübt und mit dieser der Gewerbesteuerpflicht unterliegt.
Der Kläger ist Diplom-Sozialarbeiter und betreibt unter der Bezeichnung „Therapeutische Gruppe” ein Kinderheim in W. mit 12 Plätzen. Daneben hat er bis zu 15 Kinder/Jugendliche in sog. Familienwohngruppen untergebracht. Die Verwaltung beider Bereiche erfolgt vom Wohnsitz des Klägers in R. aus. Für seine gesamte Tätigkeit hat der Kläger eine einheitliche Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG erstellt und die so ermittelten Einkünfte als solche aus freiberuflicher (erzieherischer) Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG gegenüber dem Beklagten deklariert. Der Beklagte folgte zunächst dieser Einschätzung und erließ demzufolge auch keine Gewerbesteuermessbescheide. Im Zuge einer in 2001/2002 für die Streitjahre durchgeführten Außenprüfung (Ap) stellte der Prüfer fest, dass die vom Kläger betriebene Einrichtung im Prüfungszeitraum folgende Bereiche umfasste:
- Kinderheim in W.
- Familienwohngruppen
- Betreutes Wohnen.
Im Einzelnen traf er folgende Feststellungen: Die Familienwohngruppen sind in einer Entfernung von ca. 50 bis 80 km zum Kinderheim W. über mehrere Landkreise verteilt. In ihnen werden regelmäßig ein, manchmal auch zwei Kinder in den Haushalten der Betreuer aufgenommen. Ausweislich der vom Kläger herausgegebenen Leistungsbeschreibung für 1999 und des ebenfalls von ihm verfassten „Konzepts 2001” handelt es sich bei den Leitern der Kleingruppen um pädagogische Fachkräfte (Erzieher und Sozialpädagogen), die in der Regel als Selbstständige arbeiten. Jede Familienwohngruppe wird von einem Familienbetreuer (Angestellter des Kinderheimes) und einem Psychologen (externe Kraft) einmal monatlich besucht. Diese Besucher sollen nach Angaben des Klägers lediglich beratende Funktion haben, da die Leiter der Familiengruppen selbstständig seien. Die Gruppenleiter sind weisungsunabhängig und arbeiten nach eigenem Konzept. Ein Dienstplan existiert für sie nicht; Zeit und Art ihrer Tätigkeit können sie nach pflichtgemäßem Ermessen selbst bestimmen, wobei die Tag- und Nachbetreuung der aufgenommenen Kinder gewährleistet sein muss. Sie können frei am Markt auftreten. Das Erziehungsziel wird von beiden Parteien festgelegt; die Entscheidung, mit welchen Mitteln das Ziel erreicht wird, obliegt den Honorarkräften.
Die Heimleitung ist für das Wohl der Kinder verantwortlich und ausschließlich Auftragnehmer und Kontaktstelle gegenüber den Jugendämtern und sonstigen Behörden. Der Aufenthalt der Kinder in den Familiengruppen kann jederzeit durch die Heimleitung beendet werden. Nach den Angaben des Klägers bestimmt die Heimleitung den Umgang des Kindes, Familienheimfahrten, Ferienmaßnahmen, externe Therapien, Schul- und Berufsentscheidungen. Insoweit will der Kläger ständigen Kontakt zu den Familiengruppen haben.
Nach den Feststellungen der Ap umfasst die Tätigkeit des Klägers im Wesentlichen folgende Bereiche:
- tägliche Fahrten vom Wohnort R. nach W. zwecks Austausch mit Mitarbeitern und Kindern
- jeden Montag mehrstündige Dienstbesprechungen
- Führen von Aufnahmegesprächen
- Verhandlungen mit Jugend- und Sozialämtern
- Erstellung von Hilfeplänen
- allgemeine Verwaltungsarbeiten
- Besuche von Familiengruppen.
Der Prüfer war der Auffassung, dass es sich bei den Familienwohngruppen um eine gewerbliche Betätigung des Klägers handele und sonderte diesen trennbaren Teil von dem (eigenen „stationären”) Kinderheim in W. ab, aus dem der Kläger ...