Entscheidungsstichwort (Thema)
Drei-Tage-Frist nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Zur Bekanntgabefiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO.
- Bestreitet der Stpfl. nicht den Zugang eines Schriftstücks überhaupt, sondern behauptet lediglich, dieses nicht innerhalb des Drei-Tage-Zeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Drei-Tages-Vermutung zu begründen.
- Der Begriff „Post” in § 122 AO umfasst alle Unternehmen, die Postdienstleistungen erbringen.
Normenkette
AO § 122
Streitjahr(e)
2006
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr (2006) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, der Kläger aus nichtselbständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung. Die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb wurden durch das Finanzamt X gesondert festgestellt.
Die Kläger gaben trotz Aufforderung durch den Beklagten (das Finanzamt – FA –) für das Streitjahr zunächst keine Einkommensteuererklärung ab. Das FA erließ daraufhin einen Einkommensteuerbescheid vom 30. Oktober 2008, in dem es die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) schätzte. Außerdem setzte es in dem Bescheid einen Verspätungszuschlag in Höhe von 810 € fest.
Nachdem das FA eine Mitteilung über die gesonderte Gewinnfeststellung für 2006 hinsichtlich der Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb vom 20. November 2008 erhalten hatte, erließ es einen gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid vom 22. Dezember 2008. Mit diesem Bescheid setzte das FA den Verspätungszuschlag auf 800 € herab.
Die Kläger legten gegen die Festsetzung der Einkommensteuer und des Verspätungszuschlags Einspruch ein. Mit dem Einspruch kündigten sie an, die Steuererklärung alsbald nachzureichen. Außerdem machten sie geltend, steuermindernd seien geringere Einkünfte aus Gewerbebetrieb laut Betriebsstättenfinanzamt, Verluste aus Vermietung und Verpachtung sowie Kinderfreibeträge für noch in Ausbildung befindliche Kinder zu berücksichtigen.
Das FA forderte die Kläger während des Einspruchsverfahrens auf, den Einspruch bis zum 20. Januar 2009 weiter zu begründen. Die Kläger reichten jedoch keine weitere Einspruchsbegründung ein.
Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2009 als unbegründet zurück.
Die Einspruchsentscheidung wurde nach der sich in der Steuerakte befindlichen und vom Sachbearbeiter in der Rechtsbehelfsstelle unterschriebenen Verfügung vom 16. Februar 2009 am „16.12.09” ausgefertigt und am „17.12.09” zur Post gegeben. Auf Blatt 23 Rückseite der Steuerakte der Kläger für 2006 hat der Sachbearbeiter außerdem „z.P. 17.02.09” vermerkt.
Der Briefumschlag, in dem die Einspruchsentscheidung versandt wurde, trägt den Stempel des Postzustelldienstes (K) vom 18. Februar 2009. Nach der Auskunft des Postzustelldienstes vom 7. September 2009 wird die Post nach der Abholung beim Kunden vom Postzustelldienst mit dem Datum des folgenden Werktags gestempelt.
Die Kläger haben mit einem beim Finanzgericht (FG) am 23. März 2009 um 23:49 Uhr eingegangenen Schreiben Klage erhoben.
Sie tragen vor, die Einspruchsentscheidung sei tatsächlich nicht am 17. Februar 2009 zur Post gegeben worden. Nach üblicher Handhabung in der Finanzverwaltung sei vielmehr davon auszugehen, dass die Einspruchsentscheidung erst am 18. Februar 2009 bei der Post eingeliefert worden sei. Dies ergebe sich auch aus dem Stempel des Zustelldienstes auf dem Briefumschlag. Außerdem müsse die Klageschrift noch vor Mitternacht am 23. März 2009 beim FG per Telefax eingegangen sein. Die Klagefrist sei deshalb gewahrt. Im Übrigen sei den Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Kläger seien nach der im Klageverfahren eingereichten Einkommensteuererklärung zu veranlagen. Der Verspätungszuschlag übersteige ihre wirtschaftlichen Kräfte. Er sei herabzusetzen. Das FA habe es bei der Schätzung versäumt, aus den Vorjahren bekannte Steuertatbestände zu berücksichtigen, insbesondere Verluste aus Vermietung und Verpachtung, Vorsorgeaufwendungen, Kinder- und Erziehungsfreibeträge sowie Steuerabzug vom Arbeitslohn.
Die Kläger beantragen,
sie unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 22. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2009 nach der eingereichten Steuererklärung zur Einkommensteuer zu veranlagen und den Verspätungszuschlag auf 207,80 € herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es trägt vor, die Klage sei unzulässig, da sie nicht innerhalb der Klagefrist erhoben worden sei. Nach Einstellung des Botendienstes im FA im Jahr 2007 sei für die externe Briefpost im Verteilerschrank der Poststelle ein entsprechend beschriftetes Fach eingerichtet worden. Schriftstücke, die bis 11:30 Uhr in das Fach eingelegt würden, würden noch am selben Tag vom jeweiligen Briefzustelldienst abgeholt. ...