Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung Alleinerziehender nach dem Grundtarif
Leitsatz (redaktionell)
- Die Anwendung des Splittingverfahrens auf Alleinstehende ist vom Gesetz nicht vorgesehen und verfassungsrechtlich nicht geboten.
- Der Gesetzgeber ist lediglich verpflichtet, Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Existenzminimums der Kinder von der Besteuerung auszunehmen.
- Dieser Verpflichtung ist der Gesetzgeber mit der Gewährung des Kinderfreibetrages sowie eines Freibetrags für den Betreuungs-, oder Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes nachgekommen.
Normenkette
EStG §§ 24b, 31, 32 Abs. 6, § 32a
Streitjahr(e)
2011
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Besteuerung eines alleinerziehenden Elternteils.
Die alleinstehende Klägerin ist Mutter zweier Kinder, die in ihrem Haushalt leben. Der Kindesvater leistet keinen Unterhalt. Sie erzielt aus einer beratenden Tätigkeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Durch Einkommensteuerbescheid vom 12. November 2013 wurde sie von dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) für das Streitjahr 2011 zur Einkommensteuer veranlagt. Die Steuer wurde unter Anwendung des Grundtarifs und unter Gewährung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende festgesetzt.
Mit dem dagegen eingelegten Einspruch vom 9. Dezember 2013 wandte sich die Klägerin gegen die Anwendung des Grundtarifs. Sie machte geltend, dass sie durch die Vorenthaltung des Splittingtarifs in verfassungswidriger Weise gegenüber Verheiraten bzw. Lebenspartnern ohne Kinder sowie gegenüber anderen Alleinerziehenden, deren Kinder Barunterhalt von dem anderen Elternteil erhielten, benachteiligt werde. Sie erhalte für ihre Kinder nur einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 180 € pro Kind, während der Mindestunterhalt 272 € betrage.
Nachdem es die Steuerfestsetzung durch Bescheid vom 10. Februar 2014 geändert hatte, setzte das FA die Steuer durch Einspruchsbescheid vom 10. April 2014 aus nicht streitbefangenen Gründen herab. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass die Anwendung des Grundtarifs der Gesetzeslage entspreche und die Verwaltung nicht dazu berechtigt sei, eine Gesetzesvorschrift wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht anzuwenden.
Hiergegen richtet sich die am 8. Mai 2014 erhobene Klage. Zu deren Begründung trägt die Klägerin vor:
Die geltende gesetzliche Regelung habe für sie eine Benachteiligung nicht nur gegenüber der klassischen Zwei-Eltern-Familie, sondern auch gegenüber Verheirateten und gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern ohne Kinder zur Folge, die allesamt in den Genuss des Splittingtarifs kämen. Die steuerliche Gleichbehandlung mit alleinstehenden Personen sowie mit solchen Alleinerziehenden, die wenigstens den Mindestunterhalt bezögen, stelle für sie eine erhebliche Benachteiligung dar, die gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Denn auch unter Berücksichtigung des ihr zustehenden vollen Kindergelds bleibe der Unterhaltsvorschuss um 92 € pro Kind hinter dem Mindestunterhalt zurück. Dieser Nachteil werde auch durch den zusätzlichen Freibetrag für Alleinerziehende in Höhe von insgesamt 1.308 € nicht ausgeglichen. Hierzu bedürfe es der Einräumung eines zusätzlichen Freibetrags mindestens in Höhe des nicht erhaltenen Mindestbarunterhalts. Die Gewährung eines solchen zusätzlichen Freibetrags sei auch deshalb geboten, weil es sonst für Alleinerziehende an Anreizen zu eigener Erwerbstätigkeit fehle. Eine Bezieherin von Arbeitslosengeld II erhalte für sich und ihre beiden Kinder unter sonst gleichen Voraussetzungen Leistungen in Höhe von monatlich 1.053,76 € zuzüglich geschätzter Unterkunftskosten in Höhe von 700 €. Daraus ergäben sich unter Abzug des Kindergelds steuerfreie Leistungen in Höhe von 16.629,12 €, während für sie - die Klägerin - bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von lediglich 15.578 € noch eine Einkommensteuerzahlung von 549 € verbleibe.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2011 vom 10. Februar 2014 in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom 10. April 2014 die Einkommensteuer auf 0 € herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest und führt aus:
Der Minderung der Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen durch die Verpflichtung zum Kindesunterhalt werde durch die Gewährung von Kinderfreibeträgen bzw. die Zahlung von Kindergeld Rechnung getragen. Die Klägerin habe zudem den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b des Einkommensteuergesetzes (EStG) erhalten und die ihr erwerbsbedingt entstandenen Kinderbetreuungskosten nach § 9c EStG abziehen können. Die von der Klägerin geforderte Berücksichtigung eines individuell ermittelten Entlastungsbetrags sei verfassungsrechtlich nicht geboten und verwaltungstechnisch nicht durchführbar. Der Umstand, dass der Kindesvater seinen Unter...