vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH ) [IV R 30/23]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betreiben von Handelsschiffen im internationalen Verkehr im Rahmen der gewerbesteuerrechtlichen Kürzung (§ 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG) setzt bei eingecharterten Schiffen Verfügungsmacht über das jeweilige Schiff voraus. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IV R 30/23)
Leitsatz (redaktionell)
- Trotz des weitgehend identischen Wortlauts ist der Vorschrift des § 9 Nr. 3 Satz 4 GewStG eine (von der Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 1 EStG losgelöste) eigenständige, d.h. normspezifische Definition des Betreibens von Handelsschiffen im internationalen Verkehr zu entnehmen.
- Mit der § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG zugrunde liegenden Betriebsstättenfiktion wird nicht nur eine Zuordnung, sondern auch die Betriebsstätte selbst als Zuordnungspol fingiert. Die Vorschrift beinhaltet dabei keinen vollumfänglichen Verzicht auf die (übrigen) betriebsstättenbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 12 AO, sondern gestattet lediglich, auf die von § 12 AO ansonsten vorausgesetzte feste Beziehung zur Erdoberfläche zu verzichten (vgl. BFH, Urteil vom 22. Dezember 2015 I R 40/15, BFHE 253, 174 [BFH 09.03.2016 - X R 46/14], BStBl II 2016, 537).
- Eine derartige betriebsstättenbasierte (enge) Auslegung der Kürzungsvorschriften des § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG erscheint auch vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Beihilfeverbots des Art. 107 Abs. 1 AEUV geboten.
- Hat der Charterer über ein eingechartertes Schiff keine Verfügungsmacht, so betreibt er mangels eigenen Einsatzes dieses Schiffes auch kein Handelsschiff im internationalen Verkehr im Sinne des § 9 Nr. 3 Satz 4 GewStG. Der örtliche Bezugspunkt für die sich in der Verfügungsmacht niederschlagenden Verwurzelung der konkreten unternehmerischen Tätigkeit ist in diesen Fällen das Handelsschiff selbst.
- Mangels Anhaltspunkten für ein zivilrechtsakzessorisches Verständnis von § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG hat das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 20. April 2013 (BGBl I 2013, 831) keine Auswirkungen auf die Anwendung der gewerbesteuerrechtlichen Kürzungsvorschriften.
Normenkette
AO § 12; EStG § 5a Abs. 2; GewStG § 9 Nr. 3
Streitjahr(e)
2013
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Umfang der nach § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. des Gewerbesteuergesetzes – GewStG – im Zusammenhang mit verschiedenen Formen der Eincharterung (Zeitcharter, Reisecharter, Slotcharter) sowie damit in Zusammenhang stehender Hilfs- und Nebengeschäfte im Streitjahr 2013 zu gewährenden gewerbesteuerrechtlichen Kürzung.
Die Klägerin ist eine konzernangehörige Transport- und Logistikgesellschaft der A AG und der B AG mit Sitz in C. Gegenstand ihres Unternehmens sind gemäß § 2 Abs. 1 ihres Gesellschaftsvertrags die Besorgung von inländischen sowie grenzüberschreitenden Personen- und Güterbeförderungen im ein- und ausgehenden Verkehr auf allen Verkehrswegen, von Umschlag, Lagerei, Verpackung und Tallierung sowie der speditionellen Abfertigung und Dokumentation einschließlich aller damit zusammenhängender Tätigkeiten wie Beraten, Vermitteln (Maklergeschäfte) und Koordinieren. Die Klägerin kann hierzu auch als Verfrachterin bzw. Frachtführerin Transporte selbst ausführen und dazu langfristige Zeitcharter- und sonstige geeignete Verträge über Transportmittel abschließen.
Ihr Alltagsgeschäft besteht aus dem für den A Konzern betriebenen Supply-Chain-Management bereichsübergreifend von der Material- über die Produktions- bis hin zur [Waren]logistik. Die [Waren]logistik plant, steuert und führt dabei markenübergreifend die Transportprozesse für alle Fertig[waren] zwischen den Produktionsstandorten und Importeuren weltweit durch. Schwerpunktmäßig nutzt die Klägerin für die Distribution in ca. […] Märkte sowie für den Warenumschlag und -versand in den Produktionsstandorten die Verkehrsträger Bahn, Lkw und Seeschiff. Die Konzernlogistik transportiert pro Jahr weltweit mehr als […] [Waren] und […] Container per Schiff.
Neben dem Betrieb eigener Frachter (sog. […] Carrier) charterte die Klägerin Handelsschiffe im Wege der Zeitcharter, der Reisecharter sowie der Slotcharter ein, um damit [Waren] bzw. Container zu transportieren.
Ausweislich der vorgelegten Reisecharterverträge schuldete der jeweilige Vercharterer den Transport vor allem von [Waren]. Der Vercharterer führte den Transport im eigenen Namen („on their own behalf”) durch; etwaige Subunternehmer des Vercharterers durften hingegen nicht im eigenen Namen nach außen auftreten. In den Aufgabenbereich des Vercharterers fielen „management and operations” der jeweiligen Schiffe. Die für das jeweilige Schiff anfallenden Steuern und Abgaben waren ebenso von dem Vercharterer zu tragen wie das mit der verspäteten Entrichtung der Hafenabgaben verbundene Haftungsrisiko. Vereinzelt wurde der Klägerin ein Widerspruchsrecht hinsichtlich des konkret von dem Vercharterer eingesetzten Personals (einschließlich der beauftragten Subunternehmer) ...