Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer 1991
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Zulässigkeit einer Zweitklage unter zwei Gesichtspunkten. Es geht darum, ob die Rücknahme der Erstklage nach Eingang der Zweitklage zum Verbrauch der Klage schlechthin führt (Rechtsfrage zu § 72 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –), und ferner, ob die Rechtsbehelfsbelehrung im Einspruchsbescheid unrichtig ist und deshalb gemäß § 55 Abs. 2 FGO innerhalb eines Dahres Klage erhoben werden konnte.
Da die Klägerin ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1991 nicht abgegeben hatte, schätzte der Beklagte (das beklagte Finanzamt – FR –) die Besteuerungsgrundlagen. Der gegen den Schätzungsbescheid eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg, da die Klägerin auch im Einspruchsverfahren (Einspruchsbescheid vom 18.08.1994) ihrer Steuererklärungspflicht nicht mehr nachkam.
Im Verlauf der hiergegen erhobenen (Erst-)Klage (Az. II 432/94) wurden den Prozeßbevollmächtigten flusschlußfristen zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO und zur Vorlage der Prozeßvollmacht gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO gesetzt, innerhalb derer die aufgegebenen Prozeßhandlungen nicht erfolgten.
Die Klägerin legte vielmehr nach Ablauf der Frist durch ihre Prozeßbevollmächtigten am 16.01.1995 erneut Klage (Zweitklage) ein, nunmehr unter Vorlage einer Prozeßvollmacht, und nahm noch am selben Tage die Erstklage zurück. Das Verfahren über die Erstklage (Az. II 432/94) wurde gemäß § 72 FGO durch Beschluß eingestellt.
Die Klägerin ist der Auffassung, die nach Ablauf der regelmäßigen Klagefrist von einem Monat erhobene (Zweit-)Klage sei nicht verspätet, weil die dem Einspruchsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig gewesen sei und deshalb gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO innerhalb eines Jahres Klage erhoben werden könne. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei insofern unrichtig, als nach deren Wortlaut („Gegen diese Entscheidung kann … Klage erhoben werden”) nur das Rechtsmittel gegen den Einspruchsbescheid aufgeführt sei, nicht aber, welcher Rechtsbehelf gegen den mit der Einspruchsentscheidung angegriffenen Einkommensteuerbescheid gegeben sei; eine Klage allein gegen den Einspruchsbescheid sei aber nicht zulässig. Wegen des vollständigen Wortlauts der Rechtsbehelfsbelehrung wird auf Blatt 1 des Einspruchsbescheids vom 18.08.1994 (Blatt 7 Gerichtsakte II 432/94) verwiesen.
Auch sei durch die Rückahme der Erstklage nicht etwa die Klage schlechthin verbraucht. Die Klage sei zunächst wegen der Anhängigkeit der Erstklage zwar unzulässig gewesen, danach aber durch Rücknahme der Erstklage zulässig geworden.
Die Klägerin beantragt,
die Einkommensteuer auf 6.519 DM herabzusetzen. Das FR beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FR ist der Auffassung, durch die Rücknahme der Erstklage sei der angefochtene Einkommensteuerbescheid bestandskräftig geworden. Die Klägerin habe rechtzeitig Klage erhoben gehabt; sie könne sich nach deren Rücknahme nicht auf eine – verlängerte – Rechtsbehelfsfrist von einem Jahr berufen. Ihr Klagerecht sei verbraucht.
Darüber hinaus sei die noch anhängige Zweitklage auch verspätet erhoben und damit unzulässig. Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung sei nämlich nicht unrichtig.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
1.) Die Unzulässigkeit der Klage folgt allerdings nicht schon daraus, daß sie zu einem Zeitpunkt erhoben ist, zu dem die Erstklage noch anhängig war.
Zwar kann gemäß § 155 Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Streitsache nicht anderweitig anhängig gemacht werden, stand mithin der Zweitklage die Anhängigkeit der Erstklage entgegen. Da es sich hierbei jedoch Lediglich um eine negative Sachentscheidungsvoraussetzung handelt, daß heißt eine Voraussetzung, die erfüllt sein muß, damit ein Sachurteil ergehen darf, nicht aber um eine sogenannte Zugangsvoraussetzung, die bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung gegeben sein muß, wie zum Beispiel bei fristgebundenen Klagen die Einhaltung der Klagefrist, kann eine wegen der Anhängigkeit einer Erstklage unzulässige Zweitklage noch zulässig werden, wenn die Anhängigkeit der Erstklage wegfällt (Kissel, Kommentar zum GVG, 2. Auflage 1994, § 17 Anmerkung 12; Schumann in Stein – Jonas, Kommentar zur ZPO, 20. Auflage 1987, § 261 Randnummer 51). Da die Klägerin ihre Erstklage zurückgenommen hat, ist gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 Absatz 1 ZPO der Rechtsstreit als nichtanhängig geworden anzusehen, ist das Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit rückwirkend entfallen und steht deshalb einer Sachentscheidung über die Zweitklage nicht mehr entgegen.
2.) Durch die Rücknahme der Erstklage ist auch nicht etwa das Klagerecht insgesamt verbraucht.
Allerdings hat nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO die Rücknahme bei Klagen, deren Erhebung – wie hier die Anfechtungsk...