vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [V R 3/15)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermittlung von osteuropäischen Pflegekräften, Umsatzsteuer-Pflicht
Leitsatz (redaktionell)
- Beträge, die der Unternehmer im Namen und für Rechnung an den anderen vereinbart und verausgabt (durchlaufende Posten) gehören nicht zum steuerpflichtigen Entgelt.
- Ob ein solcher Fall gegeben ist, hängt bei Dienstleistungen davon ab, ob diese selbständig oder nichtselbständig durchgeführt wurden.
- Eine berufliche Tätigkeit wird nichtselbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.
- Zur Abgrenzung zur nichtselbständigen Tätigkeit ist das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend.
- Die Frage der Selbständigkeit natürlicher Personen ist für die USt, die ESt und die GewSt grds. nach denselben Grundsätzen zu beurteilen. Eine Bindung an die ertragsteuerrechtliche Beurteilung besteht für das UStR indes nicht.
Normenkette
UStG § 4
Streitjahr(e)
2008, 2009, 2010
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Umsatzsteuerpflicht von Betreuungsleistungen für pflegebedürftige Personen.
Die Klägerin betreibt seit 2008 eine “Seniorendienstleistungsagentur”(Vermittlung von Pflegekräften und Haushaltshilfen) und “Seniorenservice” (Vermittlung von Begleitpersonen) mit dem Namen “X”. Bei den Pflegekräften/Haushaltshilfen handelt es sich vorwiegend um Frauen mit polnischer Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Polen. Die Klägerin sah diese Pflegekräfte bzw. Haushaltshilfen als selbstständige Gewerbetreibende an. In ihren Umsatzsteuer-Erklärungen waren deshalb lediglich die den Betreuungsbedürftigen berechnete Organisationsgebühren sowie von den Betreuungskräften zu zahlende Servicegebühren (Differenzen zwischen Geldzugängen von den Betreuungsbedürftigen und Auszahlung an die Betreuerinnen) erfasst worden.
Die Klägerin gab für die Streitjahre 2008 bis 2010 Umsatzsteuererklärungen ab (am 10. Februar 2010 für 2008, am 26. Oktober 2010 für 2009 und am 31. Oktober 2011 für 2010). Der Beklagte stimmte zunächst den eingereichten Umsatzsteuererklärungen, soweit sie Erstattungsbeträge auswiesen, für die Streitjahre zu. Danach ergaben sich Umsatzfestsetzungen in Höhe von ./.1.057,06 EUR (2008), 11.941,76 EUR (2009) und 14.297,49 EUR (2010).
Im Jahr 2011 führte der Beklagte eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin durch. Gleichzeitig fand eine Lohnsteueraußenprüfung statt. Am 2. März 2011 wurde durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung für die Jahre 2008, 2009 und die Voranmeldungszeiträume Januar bis Dezember 2010 sowie wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung für die Anmeldungszeiträume 2008 sowie Januar 2009 - Dezember 2010 eingeleitet. Das Hauptzollamt A - Finanzkontrolle Schwarzarbeit - leitete am 1. September 2010 ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen des Verdachts des Vorhaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelten, der gleichzeitigen Beschäftigung von mehr als fünf Ausländern ohne Genehmigung sowie der Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitsgenehmigung/EU ein, was im Rahmen der dortigen Ermittlungen am 18. November 2010 zur Beschlagnahme von Buchführungs- und anderen Unterlagen führte.
Der Umsatzsteuersonderprüfer stellte fest, dass die Klägerin vorwiegend mit Frauen zusammenarbeitete, die ihren Wohnsitz in Polen hatten. Der Ablauf ihrer Tätigkeit stellte sich wie folgt dar: Entweder die polnische Frau (Betreuerin bzw. Pflege- oder Betreuungskraft) oder ein Betreuungsbedürftiger bzw. ein Vertreter dieser Person nahm Kontakt zur Agentur der Klägerin auf. Die Agentur suchte oder hatte bereits eine entsprechende Stelle für die Betreuerin bzw. eine passende Betreuerin für den Betreuungsbedürftigen. Es wurden dann drei Verträge geschlossen. Die Klägerin schloss mit dem Betreuungsbedürftigen bzw. dem Vertreter einen sog. Vermittlungsvertrag. Des Weiteren schloss die Klägerin mit der Betreuerin einen sog. Dienstleistungs- und Servicevertrag, der die Vermittlung sowie einen Büroservice beinhaltete. Als dritten Vertrag wurde zwischen der Betreuerin und der betreuungsbedürftigen Person bzw. deren Vertreter einen Vertrag über die Dienstleistungen, die die Betreuerin im Haushalt der Betreuungsbedürftigen zu erbringen hatte (24 Stunden-Betreuung), geschlossen. Der Umsatzsteuersonderprüfer fand in den Unterlagen der Klägerin Musterverträge und einzelne entsprechend abgeschlossene Verträge. Die Vergütungsstruktur hatte danach folgende Ausgestaltung: Die Betreuungsvergütung zahlte die zu betreuende Person an die Klägerin. Ebenso zahlte sie an die Klägerin einmalig eine sog. Organisationsgebühr. Die Klägerin leitete nach Abzug einer laufend zu zahlenden Service...